James Baldwin war bekannt für seine Liebe zum Blues und Jazz – zu Bessy Smith, Billy Holiday, Ray Charles, Miles Davis and Nina Simone. Für ihn überlieferte diese Musik die unsichtbare Geschichte der USA.
von Andreas Robertz
Vor 100 Jahren, am 2. August 1924, wurde der berühmte afroamerikanische Schriftsteller und Bürgerrechtsaktivist James Baldwin in Harlem geboren und starb am 1. Dezember 1987 in Südfrankreich. Romane wie „Von dieser Welt“, „Giovannis Zimmer“ und „Ein anderes Land“ gehören zu den amerikanischen Klassikern, seine autobiographisches Essay „The Fire next Time“ zu einem der zentralen Texte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Er lebte offen seine Homosexualität und war ein gefürchteter Redner. Und … er liebte den Blues und den Jazz.
Im Winter 1950/51 reiste James Baldwin von Paris in ein entlegenes Dorf in den Schweizer Bergen. Er wollte dort in der Abgeschiedenheit seinen ersten Roman – „Go Tell it from the Mountain“, auf Deutsch: „Von dieser Welt“ – fertigstellen. Er war 26 Jahre alt und hatte bereits kleinere Teile des Romans veröffentlicht, doch es fehlte ihm die zündende Idee, um alles zusammenzubringen. Im Gepäck, so heißt es, hatte er eine Schreibmaschine und zwei Schallplatten der Blues Sängerin Bessie Smith. In ihrer Musik fand er den richtigen Groove, den richtigen Ton, die richtige Sprache seinen Roman zu vollenden. In einem Essay beschreibt er diese Erfahrung so:
“Es war Bessie Smith, die mir durch ihren Tonfall und ihre Sprechweise geholfen hat, den Weg zurück zu finden, wie ich selbst gesprochen haben muss, als ich ein schwarzer Junge war. Sie half mir Dinge wiederzuentdecken, die ich gehört und gesehen und gefühlt hatte. Ich hatte sie sehr tief vergraben.”
Ed Pavlić ist Professor für englische Literatur und afroamerikanische Studien an der Universität von Indiana und Autor von „Who can afford to Improvise“, einem bahnbrechenden Buch über James Baldwins Texte und schwarze Musik. Für Baldwin, erklärt er, seien nicht nur Bessie Smith’ Texte und Sprache wichtig gewesen, sondern mehr noch der Ton ihrer Stimme, ihr Rhythmus und die Emotionalität ihres Blues, sozusagen ihre lyrische Tradition:
Ich spreche hier nicht von einer rein poetischen Tradition. Ich spreche von einer bestimmten Qualität der Sprache, einer bestimmten Qualität des Ausdrucks. In der schwarzen lyrischen Tradition wird musikalisch eine Menge Bedeutung, eine Menge Inhalt übertragen. Schwarze Sprache und schwarzer Gesang, sogar schwarze Instrumente haben klangliche Qualitäten, die Informationen, Bedeutungen und Erfahrungen vermitteln, die sich nicht auf die Bedeutung englischer Wörter reduzieren lassen.
Im Grunde, so sagt Pavlić, funktioniert die lyrische Sprache des Blues wie eine Geheimsprache, eine subversive musikalische Tradition, die über die historische Erfahrung schwarzer Menschen in den USA Zeugnis ablegt und zwar in einer Umgebung, die den schwarzen Menschen keine eigene Geschichtsschreibung zubilligt.
Baldwin war der Meinung, dass schwarze Musik Dinge über das Schwarz-Sein in den Vereinigten Staaten durch die Geschichte geschmuggelt hat, die nie als solche in die Geschichte eingegangen sind – die in der Musik durch die bloße Klangqualität der Aussagen von Musikerinnen und Musikern, Sängerinnen und sogar Sprechern heimlich weitergegeben wurden.
Für Baldwin war der Blues allerdings nicht nur Ausdruck schmerzlicher Erfahrungen, sondern gleichzeitig auch von Mut, diesen Schmerz zu artikulieren und damit dem Hörer eine geradezu heroische Erfahrung des Überlebens, von Freude und Stolz zu vermitteln: Der Blues als Überlebensstratgie eines immer wieder neu erlebten Traumas.
Was mit dem Blues begann, wird für Baldwin im Jazz fortgesetzt: eine lakonische Beschreibung schmerzhafter Umstände, eine Mischung aus Trauer, Leid, verlorener Liebe, aber auch überraschenden Wendungen, Durchhaltevermögen und Triumph. Das Bezeugen, das Artikulieren dieses Prozesses, ist für ihn die eigentliche Aufgabe der Kunst. Dieser Gedanke hat ihn nie losgelassen. Viele von Baldwins Romanfiguren sind Musiker; in vielen Szenen spielt Musik eine wichtige Rolle, viele Romanorte sind Jazzkneipen und Bars, ob in Harlem, dem Greenwich Village in Manhattan, Paris oder Istanbul. Er war eng befreundet mit Miles Davis, Josephine Baker, Ray Charles und Nina Simone.
Was für Baldwin durch den Blues transportiert wird, ist die, wie er es nennt, versteckte Geschichte Amerikas. In seinem berühmten Essay „Many Thousands Gone“ von 1951 sagt er:
Nur in seiner Musik, die Amerikaner bewundern können, weil eine schützende Sentimentalität ihr Verständnis dafür begrenzt, hat der Schwarze in Amerika seine Geschichte erzählen können. Es ist eine Geschichte, die sonst noch nicht erzählt worden ist und die kein Amerikaner zu hören bereit ist.
Eines der großen Verdienste von James Baldwins Werk ist, dass er diese versteckte Geschichte offenbart hat, er uns sozusagen in literarischer Form, seinen Blues gesungen hat.