Die letzten Telefonzellen von New York

Die Kunstaktion TITAN in New York ehrt das Ende einer analogen Kultur

Photo: AR

Das Telefon klingelt in einer verlassenen U-Bahn-Station irgendwo in Manhattan. Doch bevor Keanu Reeves alias Neo den Hörer abheben kann und damit sicher aus der Matrix ausloggen, verwandelt sich ein Obdachloser in der Ecke in einen bösen Agenten und … so weiter und so weiter. Unzählige berühmte Hollywoodfilme nutzten die ikonischen New Yorker Telefonzellen, um ihre Geschichte zu erzählen, sei es, als Umkleidekabine für Superman oder als einziges Kommunikationsmittel für Bruce Willis alias Polizist John McClaine auf seiner mörderischen Schnitzeljagd durch die Stadt. Jahrzehntelang war das „Pay Phone“ das Symbol urbaner Kommunikation. Etwa 1300 davon gibt es immer noch in New York. Anfang nächsten Jahres sollen auch sie den neuen Kommunikationssäulen der Stadt weichen, einer Mischung aus Notrufsäule und digitalem Stadtplan mit freiem Internetzugang. Der mexikanische Künstler Damián Ortega und die New Yorker Kuratorin Bree Zucker haben unter dem Ausstellungstitel TITAN 12 Künstler eingeladen, 12 Telefonzellen auf der 6th Avenue in der Nähe des  MoMA durch Installationen zu würdigen. Andreas Robertz hat sie für uns gesehen.

Auf der Außenseite der Telefonzelle isteine leere Straßenkarte mit nur zwei gezeichneten Straßen angebracht, oben das Wort „North“, rechts das Wort „Wilderness“; ein roter Punkt steht dort, wo sie sich kreuzen: „You are here“. Das Plakat von Jimmie Durham weist auf humorvolle Weise auf das typische Gefühl von Desorientierung in New Yorks Straßen hin und vielleicht auch allegorisch auf die Unsicherheit der menschlichen Position überhaupt. An der nächsten Zelle eine Straßenecke weiter wieder auf der Außenseite Patty Smiths offene Handfläche als Foto mit der Inschrift „Vote“. Schaut man von der gegenüberliegenden Straßenseite erscheint ihre Hand direkt unter der roten Handfläche der Fußgängerampel. Wie in einem Bilderrätsel entsteht „Don“t walk – Vote“. Kuratorin Bree Zucker:

Bree Zucker: Als wir die Ausstellung konzipiert haben, haben wir viel an diese leeren Werbeflächen gedacht, überall in der Stadt. Sie bevölkern die Stad wie unsichtbare Personen. Wenn wir sie benutzen, werden sie vielleicht plötzlich wieder sichtbar, wie ein menschlicher Körper, der uns anspricht.

Über allen New Yorker Telefonzellen prangt das Logo der ursprünglichen Werbefirma TITAN, obwohl sie seit Jahren nicht mehr existiert.

Bree Zucker: Diese Schrift, das veraltete Logo von Titan, hat uns gut als Titel  gefallen, weil die Zellen jetzt ja auch veraltet sind.

Und wie die alten besiegten Göttern seien auch diese zum Verschwinden verurteilt, erklärt Zucker. Dieses Gefühl der unwiederbringlichen Veränderung passe gut zu einer Stadt zwischen Pandemie und politischer Unsicherheit.

Auf den drei Seiten einer weiteren Telefonzelle kann man den langen Abschiedsbrief des Gottes Apollo nach seinem letzten Besuch auf der Erde im Jahr 2020 lesen, ein wunderbar satirischer Text der Choreografin Yvonne Rainer. Um ihn lesen zu können, muss man allerdings auf den viel befahrenen Fahrradweg der 6th Avenue gehen und dabei höllisch aufpassen  –  Kunst kann auch gefährlich sein.

Das Zusammenspiel von Kunst und Stadt hat Co-Kurator Damián Ortega besonders interessiert. Damián Ortega: Das wichtigste war, die Stadt selbst zu nutzen, mit ihr zu spielen, ihre Energie aufzunehmen, dem Fluss ihrer Kommunikationssysteme zu folgen. Es war entscheidend für mich sie miteinzubeziehen und ihre komplexen Verteilungssysteme nicht auszuschließen.

Auf der anderen Seite direkt beim MoMA haben die bekannten Hallal Guys ihren Döner  Stand direkt neben einer Telefonzelleninstallation aufgebaut.  Die thailändische Künstlerin Rirkrit Tiravanija hat dort mit großen Buchstaben „Remember November“ und „Febreeze for Fascism“ geschrieben. Unwillkürlich entstehen Assoziationen zu Donald Trumps Ausländerpolitik und der Wahl im November, die auch über das Schicksal vieler Immigranten entschieden hat.

Hate monday
You don´t hate mondays, you hate capitalism.

Viele der Arbeiten wie Patty Smiths Wahlaufruf oder Hans Haakes Plakat aus der Dokumenta 14 „Wir sind das Volk“ sind für sich gesehen bekannt und vorhersehbar. Aber im Kontext der Stadt, die seit der Pandemie hauptsächlich von Einheimischen bevölkert wird, wirken die Installationen wie eine Liebeserklärung an New York und sein  Straßenleben mit den ikonischen Fluchten: dem Rockefeller Center mit seinem die Erdkugel tragenden Titanen, den alten Fassaden der Radio City Musik Hall, den rauchenden Gullys in den Straßen und den Delis an der Ecke. Auf die Frage nach seiner Lieblingsinstallation, zeigt ein obdachloser Mann auf die Telefonzelle von Minerva Cuevas und man versteht sofort warum: Ein Gorilla schaut den Betrachter an, dazu der Schriftzug: „You Don’t Hate Mondays. You Hate Capitalism“

Hinweise: Die TITAN Telefonzellen befinden sich auf der 6th  Avenue zwischen der 52. und 56. Straße und sind noch bis zum 3. Januar kostenlos Tag und Nacht zugänglich. 

Deutschlandradio Corso: Kunst und Pop

von Andreas Robertz

Author: Andreas Robertz

is a German cultural journalist and theater director living in New York City. He has directed and produced more than 80 shows of all genres in Germany, the US and Mexico City. As journalist he has written numerous articles for the cultural desks of several German and Austrian broadcasting companies.