Das Whitney Museum of American Art ehrt den berühmten Tänzer Alvin Ailey mit einer außerordentlichen Ausstellung.
von Andreas Robertz
Der schwarze US-amerikanische Tänzer und Choreograf Alvin Ailey gründete 1958 in New York das erste moderne Tanzensemble mit festem Repertoire: das Alvin Ailey American Dance Theater. Er schuf damit einen Ort, der einmalig in dieser Zeit, schwarzen Tänzer- und Choreograf*innen die Gelegenheit gab, ihre Arbeit außerhalb der Stereotypen von Broadway und Hollywood zu zeigen. In seinen Choreografien verband Ailey Modern Dance, Jazz, klassisches Ballett mit Bewegungen aus religiösen Ritualen und der Arbeitswelt von Afroamerikanern, besonders aus dem armen ländlichen Texas der 30iger Jahre, die Welt seiner Kindheit. Seine energetischen und hoffnungsvollen Produktionen begeisterten Zuschauer auf der ganzen Welt und beeinflussten die amerikanische Tanzszene wie keine andere vorher. Ailey, der 1989 mit nur 58 Jahren verstarb, wollte mit seiner Companie ein Museum für zeitgenössischen afroamerikanischen Tanz erschaffen. Das Whitney Museum in New York ehrt nun den Tänzer und sein Lebenswerk mit einer Ausstellung, die sich mit der Frage beschäftigt, wer Alvin Ailey hinter der Ikone war, was ihn inspirierte und welche Themen ihn beschäftigten.
Man betritt die Ausstellung und spürt sofort, dass Edges of Ailey keine gewöhnliche Ausstellung ist: Alle Wände sind in Rot gehalten, Skulpturen, Bilder, kleinere Videoinstallationen und Glasvitrinen mit Tagebüchern stehen auf roten Teppichen wie auf Inseln und ein dynamischer Zusammenschnitt von Aileys Leben und seinen Choreografien wird in einer Schleife über eine Videoinstallation abgespielt, die wie ein langes Band an den Wänden entlangläuft. Eine lebensgroße Ballerina von Karen Davis aus weißem Gips mit hoch in die Höhe gestrecktem Bein begrüßt die Besucher, die Fläche, die durch ihr Kleid in dieser Haltung entsteht, wirkt wie das Segel eines Bootes. Kuratorin Adrienne Edwards:
Das Design ist zum einen durch das Theater inspiriert, in dem wir Ailey normalerweise begegnen würden, mit seinen roten Vorhängen und seinen roten Sitzen, typischerweise alles aus Samt.
Hommage für Alvin Ailey
Aber das Rot steht auch noch für einen anderen Aspekt, erklärt die Kuratorin.
Aber es ist auch eine Hommage an seine “Bluterinnerungen”, wie er sie nannte, d.h. an all die verschiedenen Aspekte des schwarzen Lebens im Süden der Vereinigten Staaten, eine Art Seelenleben, ein Gefühl für einen Ort, der ihm sehr wichtig war und den er in seine Arbeit einbrachte. Aileys Mutter, seine Familie, waren Sharecropper – Baumwollpflücker – er selbst pflückte Baumwolle mit seiner Mutter. Diese Geschichte, wenn man sie im Kontext seiner Choreografien sieht, wie das buchstäbliche Pflücken von Baumwolle oder die Rituale, die Teil der Gottesdienste waren, hat alles eine Beziehung zur Bewegung. Es war uns wichtig, dies für den Betrachter zu visualisieren.
Visualisieren zum Beispiel durch Plastiken und Gemälde, die Aileys Themen aufnehmen oder gar in seinen Tagebüchern erwähnt werden. Zum Beispiel John Biggers Ölgemälde „The Scarecropper“ von 1945: Vor dem fast schwarzen Hintergrund einer Holzwand steht ein alter Baumwollpflücker mit großen knöchrigen Händen und tief zerfurchtem Gesicht. Sein Haar ist weiß wie die Baumwolle, die er pflückt, seine geschlossenen Augen geben seinem Gesicht einen friedvollen Ausdruck. Diese Mischung aus Schmerz, Arbeit, Armut, aber auch Frieden und Schönheit finden sich auch in Aileys Choreografien wieder.
Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, uns sehr nah an Ailey selbst zu halten, an dem, was er geschrieben hat was er uns erzählt hat, die Art von Tänzen, die er machte. Die Show ist also stark von seinen Archiven und insbesondere seinen Notizbüchern geprägt, aber auch von den aufgezeichneten Interviews, die er geführt hat.
Aileys Notiz- und Tagebücher stehen im Zentrum der Ausstellung. Oft sind neben den Vitrinen mit den Originalblättern digitale Ausgaben, in denen man weiterblättern kann. Sie geben einen privaten Einblick in sein Leben, von seiner täglichen Routine und seinem künstlerischen Denken bis hin zu den Anforderungen des Tourneebetriebs und der Auseinandersetzung mit seiner Homosexualität. Besonders eindrucksvoll sind seine detaillierten Aufzeichnungen und Skizzen aus Bahia in Brasilien, wo er intensiv die alten Yarubareligionen studierte, die versklavte Westafrikaner nach Brasilien mitgebracht hatten. Immer wieder griff er in seiner Arbeit auf die Bewegungsmotive der afrikanischen Diaspora auf.
Viele der ausgestellten Arbeiten gehören zu der Crème de la crème afroamerikanischer Kunst: Kerry James Marshall, Jacob Lawrence, Faith Ringgold, Theaster Gates’ abstrakte Arbeit Minority/Mayority, die ganz aus auseinandergeschnittenen Feuerwehrschläuchen besteht, Alma Thomas’ Mars Dust, Jean-Michel Basquiats Hollywood Africans, und Fotografien von James Van Der Zee und Gordon Parks.
Am Ende des Videozusammenschnitts im Raum geht ein Kameramann durch die Garderoben und die Tänzer rufen Genesungswünsche in die Kamera. Es ist 1989 und Alvin liegt an den Folgen von AIDS schwer erkrankt im Krankenhaus: ein berührender Moment, dem eine große Stille im Raum folgt.
Die Tatsache, dass ein schwarzer Tänzer eine international anerkannte Kompanie leiten konnte, machte ihn wirklich einzigartig. Wenn man schwarz ist und von diesem Punkt an aus tanzt, denkt man immer an Ailey, egal ob man stilistisch mit ihm übereinstimmt oder nicht. Sie sind sich seines Einflusses bewusst.
Edges of Ailey“ zeigt auf faszinierend persönliche Weise die Welt, die Alvin Ailey umgab, seine Freunde, seine Kollaborateure und seine Arbeit. Und den Ausstellungsmachern ist dabei gelungen, eine dynamische und energetische Atmosphäre zu erzeugen, die notwendig scheint, wenn ein Kunstmuseum über einen der wichtigsten Tänzer des 20sten Jahrhunderts eine Ausstellung ausrichtet: absolut sehenswert.
Die Ausstellung mit reichhaltigem Tanzprogramm läuft bis zum 9. Februar 2025.