“Realität, da kannst du dran verzweifeln” – Das MoMA zeigt große Werkschau von Thomas Schütte
von Andreas Robertz
Mit vier Jahren Verspätung zeigt das MoMA in New York eine große Werkschau von Thomas Schütte. Als sie 2021 wegen der Pandemie verschoben werden musste, stellte der Bildhauer, der vielen als einer der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler gilt, kurzerhand im Berliner Georg-Kolbe-Museum aus. Damals sagte er verschmitzt, dass er schon mal „fürs MoMA übe“, fügte aber dann etwas nachdenklicher hinzu, dass er 2024 bereits 70 sei und nicht wisse, ob er das dann noch mache. Jetzt ist es so weit und er hat es gemacht. Mit mehr als 100 Exponaten präsentiert das Museum seine Arbeit von 1975 bis heute.
Thomas Schütte am MoMA
„Ja, also morgen ist die Eröffnung und dann hoffentlich kommt die Befreiung, weil, die erste Mail ist von 2011. Das sind mal gerade schlappe 13 Jahre.“
Thomas Schütte, könnte man sagen, ist ein super Typ: eine Mischung aus natürlichem Understatement, leisem Witz, pragmatischer Sachlichkeit und großer Ernsthaftigkeit. Seine Antworten sind oft entwaffnend komisch und gleichzeitig verweigern sie das Vorhersehbare. 13 Jahre nach dem ersten E-Mail-Austausch über eine Ausstellung im MoMA wurde die Schau am vergangenen Sonntag eröffnet. Man könnte meinen, eine Retrospektive in diesem Haus sei der Höhepunkt einer künstlerischen Karriere, doch das sieht der jung wirkende Schütte, der Mitte November 70 wird, nicht so.
„Ich habe das Interesse zwischenzeitlich verloren. Ich mache doch sehr, sehr viele Ausstellungen und nach einem Jahr Vorbereitung muss das aber auch alles stimmen und ich improvisiere gerne. Und das kann man hier überhaupt nicht. Es sieht nur so aus, aber das ist alles auf den Quarter Inch geeicht. Alles, was so easy aussieht, ist knallhärteste Arbeit und alles muss dann niet- und nagelfest sein, weil hier laufen am Tag 20.000 Leute durch.“
Trotzdem ist er zufrieden, denn bei all dem schweren Material – buchstäblich und im übertragenen Sinn – hat die gesamte Ausstellung etwas Leichtes, Zugängliches und oft humorvoll Ironisches bekommen. Eben ganz so, wie er selber als Person wirkt.
So steht über dem Eingang des ersten Raumes das Motto „All in Order – alles in Ordnung“, nach einer Wandmalerei von 1981. Betritt man den Raum steht man allerdings erst einmal vor der massiven Skulptur „Vater Staat“ von 2011, ein fast vier Meter großer, herrisch blickender Mann ohne Arme in einer Art Robe, die von einer großen Schleife zusammengehalten wird, alles aus dunkler Bronze. Auf der Wand dahinter hängt die „Große Mauer“ aus dem Jahr 1977, eine aus 1200 rechteckigen, rot-bräunlichen kleinen Gemälden bestehende Arbeit, die dadurch, dass jede Reihe verschoben ist, an eine Ziegelwand erinnert.
Obwohl die Ausstellung grundsätzlich chronologisch organisiert ist, hat Schütte wie hier immer wieder jüngere Arbeiten älteren gegenübergestellt, erklärt Kuratorin Paulina Pobocha:
„Diese Verbindungen über die Zeit hinweg machen die Werke auf eine Art und Weise lebendig, die bei einer strengen Chronologie nicht möglich wäre. Wir wollen den ersten Raum ja nicht als ein Archiv sehen. Die Werke sind in dieser Welt, sie agieren, sie sind nicht passiv. Eine der Möglichkeiten, sie zu aktivieren, besteht darin, sie in unerwartete Beziehungen zu setzen.“
Die Ausstellung zeigt gut die enorme Bandbreite von Schüttes Schaffen und seiner Materialien: Da gibt es Skulpturen aus Holz, aus Keramik, Stahl, Glas und Bronze, liegende Frauenköpfe reihen sich an stehende silberne Giganten, die zwischen deformierte Politikerköpfen und großen schwarzen Zitronen umherzustapfen scheinen. Man findet architektonische Modelle, Aquarelle, Zeichnungen, Tapeten, und begehbare Skulpturen wie seine Version eines Schutzraums von 1986, aus dem nur vereinzelnd das Bellen eines Schäferhunds zu hören ist.
Schüttes Vielseitigkeit und enorme Schaffenskraft über vier Jahrzehnte an einem Ort zu sehen, ist beeindruckend. Dass die Ausstellung trotz der Fülle der Objekte dabei nicht überladen wirkt, ist eine echte Leistung der Ausstellungsmacher: sehr empfehlenswert.
Auch mit knapp 70 macht Thomas Schütte ungebrochen Kunst und Ausstellungen. Auf die Frage, woran er gerade arbeitet, was seine Welt als Künstler beeinflusst, antwortet er ganz ohne Ironie:
„Blumen, Äpfel, Frühstückseier, Teetassen … das Milchkännchen, das habe ich noch so eben krakeligerweise hingekriegt, aber eine Teekanne? Das ist eine echte Aufgabe: Realität. Fantasie, Nightmares, Schreckensbilder, 10 Stück, wie nen Fotokopierer, 10 Stück die Stunde. Aber Realität, da kannst du dran verzweifeln.“