Uraufführung “In the Amazon Warehouse Parking Lot” am Playwrights Horizon
von Andreas Robertz
Moderne Nomaden – so könnte man die US Amerikaner nennen, die in ihren Autos und Kleintransportern durch die Staaten fahren, um als Zeitarbeiter in den Versand- und Verpackungsabteilungen der riesigen Amazon Lagerhallen zu arbeiten. Der Film “Nomadland” von 2020 mit Frances McDormand in der Hauptrolle portraitierte dieses Leben und gewann damals den Oscar für den besten Film. Die Dramatiker*in Sarah Mantell hat ein Stück über eine Gruppe von queeren Nomaden geschrieben, die in einer dystopischen Zukunft zu überleben versuchen. Die Uraufführung fand nun am Playwrights Horizon in New York statt.
Flagstaff Arizona, Blacksburg Virginia, Carvers Nevada – jedesmal, wenn Jen ein Paket vom Laufband nimmt, liest sie den Adressaufkleber laut vor, als wolle sie sich versichern, dass diese Orte noch existieren. Denn in Sarah Mantells Drama “In the Amazon Warehouse Parking Lot” haben die steigenden Meeresspiegel die Küstenstaaten bereits überschwemmt. Kalifornien, Oregon, New York, Florida und Pennsylvania sind verschwunden und die Pegel steigen immer noch weiter. Die grossen Konzerne kontrollieren Nachrichten und den Zugang zum Internet und so sind diese Adressen für Jen und ihre Freunde der einzige Hinweis, welche Staaten und Orte noch beliefert werden. Für Dramatiker*in Sarah Mantell keine abwegige Zukunftsvision:
Es gibt nicht viel, was ich beschreibe, das nicht schon passiert ist. Ein Detail in meinem Stück ist, dass die Figuren keinen, wie sie es nennen, Zugang mehr haben, was im Wesentlichen Telefon und Internet ist. Das ist etwas, was jetzt gerade in Gaza passiert. In den USA ist es noch nicht so weit, aber leider ist nur sehr wenig in dem Stück wirklich futuristisch.
Queere Menschen ohne Rechtfertigungsdruck
Die Bühne zeigt eine graue Versandhalle mit Fließbändern und Verpackungsstationen, im Hintergrund ein grosses Rolltor. Ist es geöffnet, sieht man einen Parkplatz mit Klappstühlen und mobilen Kühltruhen, eine Feuerstelle und eine wunderschön bemalte Rückwand mit den Bergen und dem weiten Himmel von Wyoming. Hier trifft sich jeden Abend die Gruppe Frauen, aus der das siebenköpfige Ensemble besteht. Sie besprechen den Tag, die nächste Schicht, erzählen von ihren Autos und wie alles angefangen hat. Sie alle sind auch auf der Suche nach Freunden und Angehörigen, die während der letzten Monate durch die Klimakatastrophe verloren gegangen sind. Und vielleicht, so hoffen sie, haben die ein Paket bei Amazon bestellt. Sie alle sind non-binäre Menschen, ohne dass das auch nur ein einziges mal wirklich thematisiert würde. Dramatikerin Mantell wollte genau diese Geschichten auf der Bühne sehen, als sie ihr Stück schrieb.
Ich habe mir die Theaterlandschaft angesehen und was es an Stücken, Filmen und Fernsehsendungen gibt, und festgestellt, dass es kaum queere Liebesgeschichten für Leute gibt, die sich nicht gerade als Teenager outen. Und es gibt kaum Rollen für Frauen und trans- und nicht-binäre Menschen in der zweiten Hälfte ihrer Karriere, obwohl so viele von ihnen da gerade den Höhepunkt ihrer Kunst erreichen. Aber wenn wir diese Rollen nicht haben, dann können wir diese Schauspieler auch nicht halten. Wir brauchen so etwas wie eine kulturelle Intervention, also Rollen, die es für diese Leute gibt, damit sie bleiben können.
Aber das Stück hat auch einen sehr persönlichen Hintergrund:
Wenn ich Theaterstücke schreibe, dann schreibe ich sie, um mich zu verändern. Als ich anfing, dieses Stück zu schreiben, hatte ich das Gefühl, ich habe nicht das Recht, ein Stück zu schreiben, in dem es um queere, nicht-konforme oder nicht-binäre Charaktere geht. Ich hatte mich selbst noch nicht als non-binäre geoutet. Ich habe mich dauernd gefragt: Wer bin ich, dass ich diese Figuren schreiben kann? Und dann habe ich natürlich gemerkt, dass ich mit diesem Stück das mache, was ich mit allen anderen Stücken auch mache: Ich versuche, mir einen Raum zu schaffen, um in den nächsten Abschnitt meines Lebens zu gehen.
Utopie in der Katastrophe
Mantells Stück lebt von seinen interessanten Charakteren und den oft lustigen und absurden Dialogen trotz drohender Katastrophe – toll, wenn plötzlich Hagelkörner auf die Bühne trommeln und jemand einen groben Witz reisst. Das Drama handelt aber auch von der subversiven Kraft einer Gruppe queerer Menschen, die sich als Familie akzeptiert hat und nicht mehr um Anerkennung kämpfen muss, für das, was sie wirklich sind. Damit zeigt das Stück jenseits von heißen “Kulturkampfthemen” eine Welt, in der Menschen zusammen leben, die für das System unsichtbar geworden sind. Und in dieser Unsichtbarkeit sehen sie ihre Chance auf Widerstand und Überleben: eine leise Utopie inmitten der Katastrophe.