Onyeka Igwe Ausstellung “A Repertoire of Protest” am MoMAs PS 1 in Queens
von Andreas Robertz (engl. Version hier)
1929 kam es im heutigen Nigeria zu massiven Protesten von Marktfrauen gegen neue Steuern der britischen Kolonialregierung. Es war der erste Aufstand gegen die britische Herrschaft in dem westafrikanischen Land. Ihre Waffe war vor allen Dingen eine Taktik, die sie „Sitting on a Man“ nannten. Sie tanzten halbnackt, sangen Schmählieder und besetzten Straßen und Plätze vor Gerichten und Amtsgebäuden. Die Armee schritt ein und erschoss viele der unbewaffneten Frauen. In der Folge verbot die Kolonialregierung Frauen, sich in traditioneller Weise zu versammeln und ihre Lieder und Tänze aufzuführen. Das alles wurde unter dem Begriff „Aba Women’s War“ – Aba hieß die Stadt, in der die Aufstände niedergeschlagen wurden – bekannt. Die britisch-nigerianische Künstlerin und Filmemacherin Onyeka Igwe hat sich mit Hilfe alter Tagebücher und historischen Dokumenten auf den Spuren der wirklichen Geschichte dieser Proteste gemacht. Das Ergebnis ist jetzt in ihrer Ausstellung „A Repertoire of Protest“ am MoMA Ausleger PS1 in Queens in New York zu sehen.
Onyeka Igwes Interesse am Aba Women’s War begann mit der Autobiographie ihres Ur-Großonkels, in der dieser Konflikt erwähnt wurde, Weder sie noch ihre Eltern, die beide in einem Dorf in der Nähe Abas aufgewachsen waren, hatten davon irgendetwas gewusst.
Mir scheint, dass durch das Verbot solcher Frauentreffen dieses Protestrepertoire verloren gegangen ist. Diese Art, eine bestimmte Klage oder Beschwerde zu verkörpern, ging in einigen dieser Gemeinschaften als Folge des britischen Kolonialismus verloren, insbesondere der Ereignisse des Aba-Womens War.
Die Ausstellung „A Repertoire of Protest“ zeigt drei Filme, die Onyeka Igwe in den Jahren 2017 und 18 gemacht hat. In einem sieht man nur die Hände ihrer Mutter, wie sie den fast 100 Jahre alten Originalbericht der britischen Kolonialbehörde über den Aufstand auspackt und Seite für Seite umblättert. Dabei erzählt sie von ihrer Trauer über den Verlust kultureller Identität, von vergessenen Tänzen, Liedern und Traditionen. Ihr zweiter Film “Specialised Technique” zeigt Originalfilme, die im Auftrag der britischen Regierung zu Propagandazwecken zu der Zeit in Westafrika gemacht wurden, und ihr dritter Film zeigt Improvisationen zweier Tänzerinnen, die versuchen, das Bewegungsrepertoire der Tänze mit Hilfe der alten Materialien zu rekonstruieren.
In die Originalfilme hat Onyeka Igwe Fragen hineineditiert, die sie sich selbst beim Sehen gefragt hat. Dadurch will sie auf die verborgenen Intentionen aufmerksam machen, mit denen diese Filme gedreht wurden. Zum Beispiel, eine junge Frau ist immer wieder zu sehen, barbusig und mit jeder Menge Ketten um den Hals, die nie in die Kamera, sondern immer auf den Boden schaut.
In diesem Film fällt mir immer die Frau auf, die die ganze Zeit nach unten schaut. Es fühlt sich für mich wie Unbehagen an, gefilmt zu werden oder es könnte auch sein, sie spielt mit einer Art Schüchternheit. Ich bin mir nicht wirklich sicher. Aber die Entscheidung, sich auf sie zu konzentrieren, im Gegensatz zu anderen Leuten, die andere Dinge tun, die andere Art von Gesichtsausdrücken und Blicke haben, ist eines der ersten Dinge, die mir auffallen. Warum hat der Filmemacher diesen Ausschnitt ausgewählt?
Ihre Fragen schärfen nicht nur den Blick auf die Intentionen der kolonialen Filmemacher, sondern auch auf die Sehgewohnheiten heutiger Betrachter.
Sitting on a Man
Am eindrucksvollsten ist ihr dritter Film “Sitting on a Man”, in dem sie zwei Tänzerinnen, deren Familiengeschichte ebenfalls mit Nigeria verbunden ist, auf das Material, die Filme aus dem Archiv und die Tagebücher, improvisieren lässt. Auf drei Leinwänden, die die Betrachter umgeben, kann man ihren Prozess nachvollziehen. Sie kreieren ein Bewegungsrepertoire, das in Strichmännchen Zeichnungen festgehalten wird, wie die Notation einer Choreographie. Es entsteht ein kraftvolles Wiederentdecken von Bewegungen, die für Onyeka Igwe eine Form alten Wissen ist.
Ich interessiere mich schon seit langem für Tanz oder den Körper als eine Möglichkeit, sich politischen Fragen zu nähern. Wenn wir an koloniale Denkweisen oder Wissenssystemen denken, geht es immer um Tatsachen und Rationalität. Was sind denn andere Wege, durch die Menschen Dinge gelernt haben? Oder wie andere Kulturen Wissen verstehen? Das passiert oft durch den Körper. Das ist meine Fragestellung in vielen meiner Projekte mit den britischen kolonialen Archiven. Und in diesem Fall ging es hauptsächlich um Tanz.
A Repertoire of Protest
„A Repertoire of Protest“ ist ein Zeugnis über Frauen, die gewaltlos nur mit ihren Körpern gegen Fremdherrschaft und Unterdrückung kämpften. Und sie erinnert daran, dass der Begriff Krieg bewusst falsch gewählt wurde, denn er suggeriert eine bewaffnete Auseinandersetzung, die letztlich ein blutiges Massaker war.