Ohio State Murders

Mit 91 Jahren erlebt die US-amerikanische Dramatikerin Adrienne Kennedy ihre längst überfällige Premiere am Broadway.

von Andreas Robertz

Adrienne Kennedy am Broadway
OHIO STATE MURDERS by Adrienne Kennedy; directed by Kenny Leon With Audra McDonald
PHOTO CREDIT – Richard Termine

Es passiert nicht oft, dass ein Theater am Broadway einen neuen Namen bekommt. Aber nach dem Tod von George Floyd und den darauffolgenden Demonstrationen versprachen viele Kulturinstitutionen in New York, endlich mehr Raum für schwarze Künstler*innen zu schaffen. Die Schubert Organisation ist mit 17 der 41 Broadway Häusern die größte Theaterorganisation der Stadt. Sie entschied, eines ihrer Theater nach einem Künstler der schwarzen Community umzutaufen. Und so wurde aus dem wunderschönen Cort Theater (an der 48ten Straße/Ecke Broadway) das James Earl Jones Theater, benannt nach dem schwarzen Schauspieler, der 2012 den Ehren Oscar für sein Lebenswerk bekam und der Darth Vader in Star Wars seine Stimme lieh. Die erste Premiere im frisch renovierten Haus ist das Stück “Ohio State Murders” von Adrienne Kennedy. Sie ist ebenfalls eine Ikone des amerikanischen Theaters, trotzdem waren ihre Stücke noch nie am Broadway zu sehen.


Originalbeitrag

Ohio State Murders

Suzanne Alexander ist eine erfolgreiche  Romanautorin und für einen Gastvortrag an ihre Alma Mater zurückgekehrt, an die Ohio State University. Thema  der Vorlesung: Die Ursprünge der Gewaltmotive in ihrem Werk. Geographie mache sie immer schrecklich nervös, beginnt sie und dann versucht sie die innere wie auch äußere Landschaft zu erinnern, die ihr Leben vor 40 Jahren hier so tragisch verändert hat: der Mord an ihren beiden kleinen Töchtern in den Jahren 1949 und 51, in denen sie auf der Ohio State studierte.

Erinnerung ist nicht chronologisch

Beowolf Boritts Bühnenbild besteht nur aus Bücherregalen. Einige hängen kopfüber im Bühnenhimmel, andere stehen auf dem Boden oder sind halb in ihm versunken, im Hintergrund ein ausgeschnittenes Dreieck, hinter dem es schneit. Es ist vor allem der Schnee und die Winterzeit ihres ersten Studienjahres, an die sich Suzanne erinnert. Und wie englische Literatur die talentierte junge Frau völlig in ihren Bann zog. Fast nebenbei erwähnt sie, wie ihr Baby aus dem Wagen gestohlen und später ertränkt wiedergefunden wurde. Dann unterbricht sie sich und wischt den Gedanken wieder weg: Das komme erst später. Erinnerung ist eben nicht chronologisch.

Höchstens Grundschullehrerin

Vieles in dem Theaterstück „Ohio State Murders“ von Adrienne Kennedy hat einen autobiografischen Hintergrund. Auch sie studierte in den 50er Jahren als eine der ersten schwarzen Studentinnen an der Ohio State. Auch sie wurde – wie Suzanne im Stück – des Plagiats beschuldigt, weil man ihr nicht glaubte, einen Essay selbst verfasst zu haben. Und auch sie wurde von weißen Kommilitoninnen des Diebstahls beschuldigt und durfte keinen Abschluss in Literatur machen, denn schwarzen Studentinnen war es damals höchstens erlaubt Grundschullehrerinnen zu werden.

Eine unbequeme Autorin

Adrienne Kennedy brach ihr Studium ab und zog nach New York. Dort wurde ihr erstes Stück von einem begeisterten Edward Albee produziert und sie wurde Mitglied des berühmten Actor’s Studio unter Lee Strasberg. Wie so oft bei Theaterpionierinnen wurde sie von Theaterleuten gefeiert, doch für das große Publikum waren ihre Stück zu unbequem.

Sie irritierte durch einen fragmentarischen Stil und die Nähe zum Absurden. Auch inhaltlich passte sie nicht in die wachsende afro-amerikanische Theaterszene, die sich mit schwarzer Identität beschäftigte, während sich Adrienne Kennedy mit den psychischen Folgen von Rassismus und sexualisierter Gewalt auseinandersetzte. So ließ sie zum Beispiel in einem Stück fünf weiße Schauspielerinnen als Hollywooddiven auftreten, die das Familienschicksal einer schwarzen Frau nachspielen sollten. Es war ein Skandal – sowohl aus Sicht des weißen als auch des schwarzen Publikums.

Adrienne Kennedy am Broadway
OHIO STATE MURDERS by Adrienne Kennedy; directed by Kenny Leon With Audra McDonald,
PHOTO CREDIT – Richard Termine

Den Schleier des Vergessens wegziehen

In „Ohio State Murders“ spielt die preisgekrönte Broadway-Schauspielerin Audra McDonald die Hauptfigur Suzanne Alexander. Gekonnt und oft sehr anrührend wechselt sie von einer nervösen, akribischen, oft sekundenlang nach dem richtigen Wort suchenden, erwachsenen Suzanne zu einer fast stummen, naiven und unschuldigen jungen Frau, die nicht verstehen kann, was ihr passiert. Regisseur Leon Kenny erzählt die Geschichte von Suzanna kühl, distanziert, ohne emotionale Ausbrüche wie in einem Film Noir. Das funktioniert auf weite Strecken gut, nur das Ende wirkt dadurch verschenkt. Denn wenn Suzanne alles wieder erinnert, wird ihr Vortrag zu einem Trauergesang für ihre verlorenen Kinder. Hier hätte man sich einen großen Theatermoment erhofft. Ein bisschen Wahnsinn hätte der Abend verdient gehabt.

Das Stück ist eine beeindruckende Studie darüber, wie ein traumatisches Erlebnis, die Erinnerung und die Sprache verändert und wie viel Kraft es benötigt, den Schleier des Vergessens wieder wegzuziehen. Es war Rassismus, der ihre Kinder getötet hat: ein weißer Professor, der die Schande nicht ertragen konnte, eine schwarze Studentin geschwängert zu haben, Behörden, die den Schuldigen nur unter schwarzen Kommilitonen suchten, und eine Universität, die Suzanne als junge schwarze Mutter völlig allein ließ: Ein wichtiges Theaterstück, das nun endlich auch am Broadway zu sehen ist.

1 thought on “Ohio State Murders

  1. Regine Andratschke says:

    Danke Andreas,das ist immer so eindrücklich und toll beschrieben!Liebe Grüße aus Münster!
    Regine Andratschke

Comments are closed.