Dakar 2000


Rajiv Joseph neues Stück “Dakar 2000” im Manhattan Theater Club

von Andreas Robertz

Rajiv Joseph neues Stück "Dakar 2000" im Manhattan Theater Club
Mia Barron and Abubakr Ali in Manhattan Theatre Club’s world premiere production of Dakar 2000 by Rajiv Joseph directed by May Adrales.© Matthew Murphy

In den Stücken des US amerikanischen Dramatikers Rajiv Joseph werden Menschen mit extremen Situationen konfrontiert, auf deren Verlauf sie keinerlei Einfluss zu haben scheinen: Soldaten in Kriegsgebieten, deren Sprache sie nicht verstehen, Wächter, die Foltern müssen, um ihr eigenes Leben zu retten, pazifistische Idealisten, die zu Handlangern von Kriegsparteien werden: das Banale trifft auf das Monströse. Wie in einem Reagenzglas mischt Rajiv Joseph seine Inhaltsstoffe mit absurden Dialogen und mit manchen erhellenden Momenten  über das Wesen der menschlichen Tragödie. Für viele gilt Rajiv Joseph deshalb als einer der originellsten neuen Dramatiker in den USA. Sein neues Stück Dakar 2000 spielt in der senegalesischen Hauptstadt kurz vor dem Beginn des neuen Millenniums, in einer Zeit also, in der viele das Ende der Welt kommen sahen. 



Eine Drehbühne mit verschiedenen Spielorten, ein weiter Horizont, auf dem meistens ein grandioser Sternenhimmel und die Silhouette des nächtlichen Dakar zu sehen ist und eine amerikanische Flagge, die eigentlich zum Interieur eines Büros gehört, dann aber doch die ganze Bühne beherrscht. Das ist klug gemacht, denn bei all den seltsamen Geschichten zwischen Wahrheit, Erfindung und Lüge, die sich in dem 80- minütigen Drama entfalten, erinnert die Fahne den Zuschauer daran, um was es wirklich geht: um amerikanische Außenpolitik in Afrika vor dem 11.September. 

Dakar 2000

Boobs, ein junger freiwilliger Helfer einer amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation  schafft es, auf schnurgerader Strasse mitten in der Nacht seinen Lastwagen mit Zement aus Entwicklungshilfebeständen in den Straßengraben zu setzen. Nun steht er mit Kopfverband vor der Botschaftsangestellten Dina und muss Rechenschaft ablegen. Eine Katze sei ihm vor den Wagen gesprungen. Nach nur 15 Minuten Verhör existiert die Katze nicht mehr. Stattdessen rast ein betrunkener Boobs mit gebrochenem Herzen und lauter Musik durchs nächtliche Senegal und verliert die Kontrolle über den Wagen. Und den Zement hatte er für ein Brunnenprojekt in einem muslimischen Dorf geklaut. Für eine solche Zweckentfremdung von Ressourcen wird man eigentlich sofort nach Hause geschickt. Doch Dina ist beeindruckt, von Boobs Fähigkeit zu lügen und Geschichten zu erfinden. Das sei eine wichtige Kompetenz, wenn man im Geheimen für die US Regierung arbeiten will. Denn Boobs soll ihr helfen, den Drahtzieher des Bombenattentates auf die Botschaft von Daressalam ein Jahr zuvor zu finden, bei dem sie alle ihre Kollegen verloren hat. 

Rajiv Joseph neues Stück "Dakar 2000" im Manhattan Theater Club
Mia Barron and Abubakr Ali in Manhattan Theatre Club’s world premiere production of Dakar 2000 by Rajiv Joseph directed by May Adrales.© Matthew Murphy
Rajiv Joseph neues Stück "Dakar 2000" im Manhattan Theater Club
Mia Barron and Abubakr Ali in Manhattan Theatre Club’s world premiere production of Dakar 2000 by Rajiv Joseph directed by May Adrales.© Matthew Murphy

Zwischen den beiden entwickelt sich eine romantische Beziehung, zwei im Grunde einsame Menschen in einem fremden Land. Doch man weiss nie, ob Dina wirklich an Boobs interessiert ist oder ihn nur für ihre Zwecke benutzt. Wie kann man jemanden mögen und gleichzeitig manipulieren, fragt Boobs später verletzt. Und dann schleicht er sich doch während der Feier zur Jahrtausendwende in das Hotelzimmer eines mutmasslichen Terroristen und nimmt dessen Fingerabdrücke ab. Der Anfang einer Agentenkarriere und das Ende seines Idealismus. Wenn jemand zu dir sagt, wir brauchen dich, sagt er direkt zum Publikum, ist das für einen Menschen, der nicht weiss, wohin mit sich, eine grosse Sache. Das lapidare Ende einer Geschichte, die doch so vielversprechend begonnen hatte. 

Von allem ein bisschen und von nichts wirklich genug

Obwohl man der Schauspielerin und dem Schauspieler gerne zuschaut und die Szenen gut gebaut sind, scheitert das Stück daran, dass der Autor sich nicht entscheiden konnte, worum es in seinem Drama eigentlich geht: eine Spionagegeschichte, eine Liebesgeschichte, ein politisches Stück, ein Stück über das Ende der Illusionen? Von allem ein bisschen und von nichts wirklich genug. 

Theater in Zeiten von Trump

Bemerkenswert allerdings ist, wie sehr die Geschehnisse der letzten Wochen die Wahrnehmung des Stückes beeinflusst. Als schaue man in eine längst vergangene Epoche, und eine vergessene Periode amerikanischer Außenpolitik. Denn spätestens seit dem Eklat im Weißen Haus mit Präsident Zelensky löst die amerikanische Flagge eher Unbehagen aus. Ist doch der Mythos von den amerikanischen Werten, der Demokratisierung und dem Kampf um Menschenrechte endgültig zerbrochen. Was jetzt zählt, scheint eine reine Kosten-Nutzen Rechnung zu sein, die den Gewinn über alles andere stellt. Der amerikanischen Entwicklungshilfe jedenfalls hat Elon Musk bereits den Geldhahn zugedreht, damit kein Zement mehr auf Kosten amerikanischer Steuerzahler geklaut werden kann, sei der damit gebaute Brunnen auch noch so lebenswichtig.

Author: Andreas Robertz

is a German cultural journalist and theater director living in New York City. He has directed and produced more than 80 shows of all genres in Germany, the US and Mexico City. As journalist he has written numerous articles for the cultural desks of several German and Austrian broadcasting companies.