Gruppenausstellung ‚Inheritance“ am Whitney Museum in New York
von Andreas Robertz
: Museen versuchen immer wieder Wege zu finden, Neuanschaffungen und selten gesehene Objekte ihrer Sammlung zu zeigen. Die thematische Gruppenausstellung ist da oft die Antwort. Sie schafft einen Rahmen in dem verschiedenste Arbeiten ausgestellt werden können. Das Whitney Museum für amerikanische Kunst in New York eröffnet nun für den Sommer eine solche Gruppenausstellung mit dem Titel ‚Inheritance“ – auf deutsch Erbe.
Hong Kong: Eine Drohne fliegt auf einen riesigen Gebäudekomplex mit hunderten Wohnungen zu. In der Mitte hat der Architekt große Löcher freigehalten, durch die man die Berge auf der anderen Seite sehen kann. Die non-binäre chinesisch-amerikanische Künstlerin Wang Shui erzählt von der Bedeutung, die Drachen in der chinesischen Kultur und Mythologie haben, und dass die Löcher dazu da sind, damit die Drachen aus den Bergen ungehindert zum Meer fliegen können. Für Kuratorin Rujeko Hockley steht der Film exemplarisch für die Art und Weise, wie Künstler Geschichte und kulturelles Erbe reflektieren.
Die Künstlerin spricht über die Praxis des Feng Shui, eine alte chinesische Philosophie, die während der Kulturrevolution kriminalisiert wurde. Die Kulturrevolution ist noch nicht lange her, aber sie unterdrückte etwas, das sehr viel älter ist. Und in der heutigen Zeit werden in Hongkong millionenschwere Gebäude nach den Prinzipien des Feng Shui gebaut. Es ist unglaublich, dass Bauträger wirklich Löcher hinterlassen würden, damit Drachen hindurchfliegen können. Das ist sehr poetisch.
Das Erbe des Sammelns
In der Ausstellung haben die Ausstellungsmacher knapp 60 Arbeiten von über 40 Künstler*innen zusammengebracht, viele davon Neuanschaffungen wie Wang Shuis Film.
Ich war sehr daran interessiert, wie die Zeit in unserem eigenen Leben vergeht und wie unsere Erfahrungen von einem größeren Begriff von Zeit beeinflusst werden, seien es historische Ereignisse, kulturelle Erbschaften, ja Tausende von Jahren Geschichte. Es ging mir um die zyklische Natur unseres Erbes als Menschen, als Individuen.
Ich war sehr daran interessiert, wie die Zeit in unserem eigenen Leben vergeht und wie unsere Erfahrungen von einem größeren Begriff von Zeit beeinflusst werden, seien es historische Ereignisse, kulturelle Erbschaften, ja Tausende von Jahren Geschichte. Es ging mir um die zyklische Natur unseres Erbes als Menschen, als Individuen.
Ein wichtiger Teil der Ausstellung befasst sich mit dem schwierigen Erbe der Sklaverei und des Völkermords an den Ureinwohnern in den USA. So auch die beklemmende Videoinstallation der afroamerikanischen Künstlerin Kara Walker.
Auf fünf Leinwänden untersucht sie die Geschichte von Rassismus und Gewalt und benutzt dabei die Scherenschnitttechnik, die oft in alten Kinderfilmen benutzt wurde. Kara Walker erzählt die Geschichte eines Jungen, der wegen Ungehorsams von seinem weißen Besitzer den Fuß abgeschnitten bekommt. Die Musik und die bunten Hintergründe, vor dem die Silhouetten agieren, stehen im krassen Gegensatz zum grauenvollen Inhalt.
Auf ein ganz anderes Kapitel amerikanischer Geschicke bezieht sich die Arbeit „Environment“ der japanisch-amerikanischen Brüder Bruce und Norman Yonemoto.
Auf mehreren alten Dialeinwänden sind Propagandafilme der US Regierung aus dem II. Weltkrieg projiziert, während in einem kleinen Fernseher daneben Werbefilme aus den 50er Jahren laufen.
Sie wuchsen in dem Milieu einer Nachkriegsgesellschaft auf, in den wirtschaftlich boomenden Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit. In der Werbung geht es um Produkte, Erfahrungen, alles ist eine positive Utopie. Und gleichzeitig sind sie mit der Propaganda der Nachkriegszeit groß geworden. Hier geht es darum, über das mediale Umfeld nachzudenken, dass sie später geprägt hat.
Einige der ausgestellten Arbeiten setzen sich mit ihren künstlerischen Vätern und Müttern auseinander. So auch sehr eindrücklich der schwarze Fotograf John Edmonds aus New York. In direkter Anlehnung an Man Rays berühmtes Foto mit dem liegenden Gesicht einer weißen Frau neben einer afrikanische Maske ist hier das Gesicht des Fotografen selbst neben einer afrikanischen Maske zu sehen. John Edmonds stellt Sehgewohnheiten und Identitäten in Frage und macht gleichzeitig doch eine Hommage an sein Vorbild.
Kunst ist eine der besten Möglichkeiten, die wir haben, Geschichten zu erzählen. Das ist das Wesen der Kunst, meine ich. So hinterlassen Menschen Aufzeichnungen darüber, wer wir waren, wofür wir uns interessierten, was uns wichtig war, was uns gefiel und was uns nicht gefiel. Kunst hat diese einzigartige Fähigkeit, unabhängig vom Medium oder der Epoche, uns die Erfahrung einer anderen Person verständlich zu machen.
Das Erbe des Sammelns
Durch die sehr unterschiedlichen Einzelarbeiten wirkt die Ausstellung eher als eine Momentaufnahme der Sammlungstätigkeit des Museums, denn als eine Show mit klarem Konzept. Der Begriff Erbe ist vermutlich bewusst vage gehalten, um möglichst viele Arbeiten unter einen Hut zu bekommen. Es wäre interessant gewesen, wenn die Ausstellung auch das Erbe des Museums selbst kritisch reflektiert hätte.
Die Ausstellung ist bis zum Februar 2024 am Whitney Museum in New York zu sehen.