
von Andreas Robertz
1969 feierte das Met Museum in New York seinen hundertsten Geburtstag. Einer der Jubiläumsausstellungen sollte das kulturelle Leben der afroamerikanischen Gemeinde in Harlem auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung würdigen: Doch „Harlem on my Mind“ – so hieß die Ausstellung – wurde damals mit Protesten begleitet, denn die Künstler und Einwohner des Stadtteils fühlten sich nicht repräsentiert. Der damals 16-jährige Dawoud Bey besuchte die Ausstellung, die mit großformatigen Zeitungsphotographien das Alltagsleben in Harlem zeigte. Damals entschloss er sich Fotograf zu werden und die Menschen so zu fotografieren, wie sie wirklich waren. Seine Arbeit wurde wegweisend. Das Whitney Museum in New York zeigt nun in einer großen Retrospektive seine wichtigsten Arbeiten aus 40 Jahren.

Der Porträtist Harlems
Ein älterer Mann im schwarzen Anzug mit Mantel und Hut auf einem Stuhl vor einer Metzgerei, sein Blick gelassen und ernst; eine Frau mit Baby auf dem Arm an einen groben Holzpfosten im Eingang eines Hauses gelehnt, sie und das Baby schauen aufmerksam direkt in die Kamera; ein Teenager in eng anliegender Hose, einem Sportjackett und großer Sonnenbrille mit einer Popkorntüte, lässig an eine Barrikade vor dem glitzernden Kassenhäuschen eines Kino gelehnt: Mit Bildern wie diesen machte sich der damals 22-jährige Dawoud Bey in seiner ersten Ausstellung 1975 mit dem Titel „Harlem, U.S.A.“ einen Namen als Porträtist des schwarzen Harlems. 40 Jahre später besuchte er sein altes Viertel wieder. Es entsteht eine neue Reihe mit dem Titel „Harlem Redux“. Kuratorin Corey Keller erklärt warum nun beide Reihen nebeneinander zu sehen sind.
Corey Keller: Es war Dawoud sehr wichtig, dass beide Serien in Beziehung zueinander gesehen werden. Hier in Harlem hat er als Fotograf begonnen und die Menschen fotografiert und die Bilder dort ausgestellt. Aber es war ihm auch wichtig seinen Werdegang damit zu zeigen.
In „Harlem Redux“ sind die Bilder größer und in Farbe. War Harlem zuvor der Hintergrund seiner Portraits, ist es nun in den Vordergrund gerückt. Abgerissene Häuser, weiße Touristen, leere Baugelände und die mit Papier zugeklebten Fenster der berühmten Lenox Jazz Lounge. Schwarze Menschen fehlen oder erscheinen nur wie zufällig im Hintergrund.
Corey Keller: In der früheren Reihe ging es um die Präsenz schwarzer Subjekte, deren Repräsentation. Und die spätere Serie handelt vom Verschwinden schwarzer Subjekte aus Harlem und wie Gentrifizierung die Kultur in den Hintergrund gedrückt hat.
Der direkte Blick
Dawoud Bey hat in seinem Werk mit verschiedenen Formaten und Stilen experimentiert, aber in seinen stärksten Arbeiten kommt er immer wieder auf das einfache Portrait zurück. Viele der Bilder sind großformatig und die Menschen, die er fotografiert hat, ziehen den Betrachter mit ihrem direkten, absichtsvollen, manchmal unverfroren, oft konfrontierenden Blick in den Bann.

Corey Keller: Das Format bei einigen der Fotografien ist sehr wichtig. Wenn man einer Person, einem Bild, in dieser Größe begegnet, hat man das Gefühl, man begegnet dem Menschen selbst.
Wie ein entlaufender Sklave in der Nacht
In seiner letzten Reihe von 2017 „Night Coming Tenderly. Black“ – „die Nacht kommt sanft. Schwarz“ – erkundet Dawoud Bey überraschend ein neues Motiv: Landschaften. Bilder, die auf den ersten Blick wie abstrakte Meditationen auf die Farbe Schwarz wirken, entpuppen sich, wenn man nah herantritt, als Schatten von Bäumen, ein Haus in der Dunkelheit, ein Garten, das dunkle Meer. Kuratorin Corey Keller:
Corey Keller: Visuell ist es völlig anders, als alles, was er vorher gemacht hat. Die Bilder zeigen Landschaften, die er in Ohio fotografiert hat, in einer Gegend, die wahrscheinlich zur „Underground Railroad“ gehört hat. Er hat sich vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, wenn man als Sklave auf der Flucht in die Freiheit wäre, in der Nacht durch diese Landschaft.
Die „Underground Railroad“ war ein geheimes Netzwerk von Unterkünften, die entflohenen Sklaven erlaubten, ihren Weg aus dem Süden in die Sicherheit nach Kanada zu finden. In diesen dunklen Bildern werden lang vergessene Geschichten erzählt.
Corey Keller: Wie fotografiert man eine unsichtbare Geschichte? Wie können wir Geschichte im Heute lebendig machen? Wie nähern wir uns der Idee von Schwarz-sein? Nicht nur die Erfahrung der Afroamerikaner als Schwarze, sondern auch der Farbe Schwarz? Er denkt darüber nach, wie schwarz auch positiv sein kann, wie die Dunkelheit, die beängstigend und beschützend ist.
Es ist schwer, sich den Geschichten und Blicken von Dawoud Beys Menschen zu entziehen. Unwillkürlich denkt man an die Bilder von Daunte Wright, dem jungen Mann, der vor wenigen Tagen in der Nähe von Minneapolis bei einer Polizeikontrolle von einer Polizistin erschossen wurde. Sie habe ihren Teaser mit ihrer Schusswaffe verwechselt, behauptet sie – nach 36 Dienstjahren. In vielen der Blicke von Dawoud Beys Menschen glaubt man, denselben Schmerz zu entdecken, den viele Amerikaner gerade jetzt wieder empfinden müssen.

Mehr Informationen auf https://whitney.org/exhibitions/dawoud-bey