Der Drang nach Westen

The New York Historical Society zeigt in der Ausstellung “Acts of Faith” wie Religion die Besiedelung nach Westen in den USA im 19ten Jahrhundert vorantrieb.

von Andreas Robertz

Der Drang nach Westen
C.C.A. Christensen (1831–1912) Crossing the Mississippi on the Ice, ca. 1878 Tempera on muslin, 77 7/8 x 114 in. Brigham Young University Museum of Art, gift of the grandchildren of C.C.A. Christensen, 1970

Das Verbannen von Büchern und das Verbot, bestimmte Themen in der Schule mit den Schülern zu besprechen sind zwei Mittel, mit denen aufgebrachte erzkonservative Eltern in den USA versuchen, die Inhalte zu bestimmen, mit denen ihre Kinder in der Schule konfrontiert werden. Die ultrarechte Propaganda von der Sexualisierung der Kinder und einer „Woke“ Kultur, die nur von Rassismus handelt und den Patriotismus vor allem weißer Kinder untergräbt, wird auf Elternversammlung, in Bibliotheken und Schulvorstandssitzungen von wenigen durchgesetzt und implementiert. In seinem Jahresbericht zur ersten Hälfte des Schuljahrs 22/23 berichtet PEN Amerika von knapp 1500 verbannten Einzeltiteln – ein Rekord. Dass die Schule der Konfliktherd Nummer 1 für politische oder religiöse Ideologien ist, begann in den USA schon während der Gründung des öffentlichen Schulsystems durch Protestanten Ende des 19ten Jahrhunderts. Eine faszinierende Ausstellung der historischen Gesellschaft New York über das Zusammenspiel von Religion und der aggressiven Besiedelung des Landes eröffnet neue Einsichten.

Originalbeitrag

Der Drang nach Westen

Mit einem Ölgemälde von Red Jacket eröffnet die Ausstellung Acts of Faith. In einer berühmten Rede hatte der Sprecher der Haudenosaunee, einer Föderation amerikanischer Ureinwohner an der Ostküste der Vereinigten Staaten, 1796 gesagt gefordert, dass Religion und Kultur die wichtigsten Mittel seien, weißem Expansionsdrang zu trotzen. Aber als 1825 mit dem Erie-Kanal die Ostküste mit den Großen Seen verbunden wurde, gab es für die Besiedlung des amerikanischen Westens kein Halten mehr. Dabei spielte der christliche Glaube eine entscheidende Rolle, erklärt Kuratorin Marcy Reaven:

Unsere Ausstellung befasst sich mit der Rolle der Religion in der Geschichte der westlichen Expansion der USA im 19. Jahrhundert. Und wie das Versprechen der Religionsfreiheit auf die Probe gestellt wurde, als die Nation durch die Expansion religiöser wurde.

Protestanten, Katholiken und Mormonen lieferten sich untereinander heftige Auseinandersetzungen um Einfluss und Landbesitz. New York war ein Zentrum dieser Bemühungen. Hier wurden Millionen von Bibeln und Pamphlete gedruckt und verschifft, Missionare ausgebildet und politischer Einfluss aufgebaut.

Diese Missionsorganisationen sind multikonfessionell. Sie sind alle protestantisch, vertreten aber viele Konfessionen, und ihr Ziel war es, Kräfte und Ressourcen zu bündeln, um sicherzustellen, dass der Protestantismus im Westen überlebt und gedeiht. Es ging ihnen nicht nur um die Religion, die sie zu schützen und zu verteidigen versuchten, sondern auch um die Zukunft der amerikanischen Republik, weil sie der Meinung waren, dass die protestantischen Werte für den Fortbestand der Demokratie und des Republikanismus entscheidend waren.

Die Ausstellung mit ihren vielen Artefakten, Bildern, Originalzeichnungen,  Landkarten und Modellen erzählt das mit den Lebensgeschichten historischer Persönlichkeiten, die in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielten. Zum Beispiel die schwarze Unternehmerin Clara Brown.

Der Drang nach Westen
Unidentified photographer
Clara Brown, ca. 1875–80
Photograph Denver Public Library Special Collections, Z-275

Eine schwarze Pionierin

Sie ist Afroamerikanerin, wurde in die Sklaverei hineingeboren, vor dem Bürgerkrieg freigelassen und musste ihre Gegend, in der sie lebte, verlassen, weil es Gesetze gegen freie Schwarze gab, die dort lebten. Also ging auch sie in den Westen.

Die tief religiöse Frau wäscht in Colorado die Wäsche der Goldsucher, wird reich und hilft, verschiedene Kirchen aufzubauen. In historisierenden Bildern wird ihre bewegende Lebensgeschichte erzählt – genauso wie die des bei den Lakota Indianern als heiliger Mann verehrten Short Bull: Seine Zeichnungen der traditionellen Tänze, die er lehrte, sind erhalten. Sein Kampf gegen Gesetze der US Regierung endete mit dem Massaker am Wounded Knee.

Der Drang nach Westen
“Apache Girls on Arrival at the Ramona School, Santa Fe, N.M.” and “Apache Girls Six Days after Arrival at the Ramona School,” in The Ramona School for Indian Girls: Santa Fe, N.M., 1886 Patricia D. Klingenstein Library, New-York Historical Society

Indianische Internate

Im letzten Teil der Ausstellung gehen die Ausstellungsmacher der Frage nach, welche religiösen Werte sich durchgesetzt haben und wie in manchen Fällen die Idee der religiösen Freiheit dem politischen Willen nach Befriedung der Gegensätze weichen musste. Beispiele dafür sind das Verbot der Polygamie in der mormonischen Kirche, das Verbot indianischer Traditionen oder das Verbot, in Schulen die Bibel zu lesen. Man betritt ein original nachgebautes Klassenzimmer einer Schule in Nebraska, denn in Schulen wurde am erbittertsten um religiösen Einfluss gekämpft. Es ist aber auch den christlichen Schulen und Internaten für indianische Kindern gewidmet. Tausende von ihnen, wie man heute weiß, wurden missbraucht, gequält oder sind verhungerten.

Der Drang nach Westen
Indian boarding schools explicitly aimed to Christianize Native children. Some institutions, like the Ramona School for Indian Girls, were founded by Christian organizations under contract with the US government. Others were run directly by the government as Christian enterprises. With most Native peoples now forced onto reservations, government agents could compel or coerce families to part with their children for years. Parental consent was not required. Boarding school experiences varied, but conditions were often harsh and could be deadly. Instruction in Christianity, industrial training, and labor did the “civilizing work” that supporters believed would assimilate Native children into white society.

Es gab Leute, die gleichzeitig an Eroberung und Christianisierung glaubten, andere wiederum legten den Schwerpunkt auf die Christianisierung der Eingeborenen und waren weniger daran interessiert, ihnen ihr Land wegzunehmen. Es gab also eine ganze Reihe von Motiven. Aber Tatsache ist, dass Land genommen wurde, Religionen wurden verboten, Kinder wurden ihren Familien weggenommen und in Internaten zwangserzogen.

Die Ausstellung zeigt kritisch, wie im 19ten Jahrhundert religiöse Interessen bei der Besiedlung des amerikanischen Westens eine entscheidende Rolle spielten. Besonders interessant dabei ist, wie die amerikanische Regierung versuchte, sich aus der religiösen Gängelung bestimmter Gruppierungen zu befreien. Ein Kampf der gerade in der heutigen politischen Debatte wieder an Bedeutung gewonnen hat.