Evangelikale Kirche in den USA
von Andreas Robertz
Wenn amerikanische Evangelikale von biblischer Weiblichkeit sprechen, dann meinen sie das althergebrachte Frauenbild. Frauen, die nicht arbeiten gehen, die zu Hause bleiben, die vielleicht sogar ihren Kindern häuslichen Unterricht geben. Wie biblisch ist diese biblische Weiblichkeit und wie zeitgemäß ist sie? Über diese Fragen hat die Kirchenhistoriker Alison Barr ein Buch geschrieben. Und sie sagt Ausgerechnet seit Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, fangen Frauen bei den Evangelikalen an, sich zu wehren.
Beth Allison Barr: Biblische Weiblichkeit meint, dass eine Frau sich der Führung ihres Mannes sowie den männlichen Führern innerhalb der Kirche unterwirft. Sie darf weder lehren noch führen. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Familie. Sie darf nur dann außerhalb des Hauses arbeiten, wenn sie ihre Familie damit unterstützt. Aber wenn diese Arbeit Vorrang vor ihrer Familie und ihrem Mann hat, dann sollte sie das nicht tun.
Der Mythos von der biblischen Weiblichkeit
Die Kirchenhistorikerin Beth Allison Barr sagt von sich, sie sei eine eher stille Frau, aufgewachsen in der Tradition der Southern Baptist Church, Teil der Southern Baptist Convention, dem größten Zusammenschluss protestantischer Kirchen in den USA. Barr hat ein Buch geschrieben, dass das evangelikale Milieu aufmischt. Sie beschreibt darin, wie das Frauenideal zustande kam – und wie es sich ändern könnte. In Bezug auf Geschlechterrollen ist diese Tradition seit jeher von der Vorstellung geprägt, dass Mann und Frau einander ergänzen. Männer und Frauen sind angeblich vor Gott zwar gleich, aber haben von ihm verschiedene Rollen zugewiesen bekommen. Seit den 70ger Jahren begannen konservative evangelikale Theologen diese Idee von der Komplementarität der Geschlechter als Gegenentwurf zum Feminismus zu radikalisieren, Geschlechterrollen wurden zwingend festgeschrieben, der Mann hat zu dominieren, die Frau sich zu unterwerfen.
Beth Allison Barr: Ein großer Teil des evangelikalenFrauenverständnis, das wir angeblich von der Bibel ableiten, kommt tatsächlich aus der amerikanischen Kultur.Es ist eine Erweiterung des Evangeliums, das wir nun weltweit verbreiten. Es ist im Grunde die Kultur der Südstaaten, die wir im Namen des Evangeliums exportieren.
Beth Allison Barrs Buch „The Making of Biblical Womanhood“ – die Entstehung der biblischen Weiblichkeit – richtet sich an Christinnen, die einerseits gläubig bleiben und andererseits den verkrusteten Strukturen dieses evangelikalen Milieus entkommen wollen. Für die Autorin begann mit der Vermischung erzkonservativen Gedankenguts mit der christlichen Botschaft eine unheilvolle Radikalisierung des Patriarchats. Wer mit dieser Rollenzuweisung nicht zurecht kam, musste sich als Versagerin fühlen, die den biblischen Plan nicht erfüllt.
Scham keine gute Christin zu sein
Beth Allison Barr: Es erzeugt Scham. Wenn man an all die Frauen in den evangelikalen Gemeinden denkt. Die meisten können dies Ideal nicht erreichen, ihre Familien haben es wirtschaftlich schwer, wenn die Frauen versuchen, dies Ideal zu leben. In sehr konservativeren Kirchen, müssen die Frauen auch noch häuslichen Unterricht geben. Nicht nur das sie mit ihren Kindern zu Hause bleiben müssen, sie sollen auch noch für ihre Ausbildung verantwortlich sein. Sie können nichts wirklich außerhalb des Hauses tun.
Ihr Buch traf einen Nerv in der evangelikalen Kirche.Im April 2021 veröffentlicht geht der Bestseller bereits im Oktober in die fünfte Auflage. Besonders Frauen, sagt sie, schreiben ihr, die, die der Kirche den Rücken gekehrt haben und die, die in ihren Strukturen weiterleben wollen. Aber auch viele Männer, die sich schämen, dass sie allein nicht in der Lage sind, ihre Familie zu ernähren.
Verbogene Männlichkeit
Beth Allison Barr: Ein Teil davon ist das Verständnis von Maskulinität. Wir haben in den USA gerade den Grat überschritten, dass jetzt mehr Frauen arbeiten als Männer. Und das bedroht die, die in dieser Idee von Männlichkeit verhaftet sind, die der alleinige Ernährer ihrer Familien sein sollen. Wenn Gott dir diese Rolle zugeteilt hat, dann solltest du auch in der Lage sein, deine Familie zu versorgen und nicht deine Ehefrau arbeiten lassen musst.
Sie sieht ihr Buch in einer Reihe mit vielen aktuellen Veröffentlichungen von evangelikalen Theologe*innen, die sich kritisch mit der evangelikalen Kirche auseinandersetzen. Zum Beispiel „The Color of Compromise“ – die Farbe des Kompromiss – von Jemar Tisby, ein Buch darüber, wie Rassismus von Anfang an Teil der Gründungs-Charta der Southern Baptist Church war, oder „Jesus and John Wayne“ von Kristin Kobes Du Mez über die Wahl Donald Trumps als logische Folge des übersteigerten Männerwahns innerhalb ihrer Kirchen. Das diese Bücher alle Bestseller sind, ist für sie ein klares Zeichen, dass die Menschen aufwachen. Denn ausgerechnet die Tatsache, dass Donald Trumps mit massiver Hilfe der evangelikalen Gemeinden zum Präsidenten gewählt wurde, hat aus ihrer Sicht für viele das Fass zum Überlaufen gebracht.
Seit Trump sind die Menschen aufgewacht
Beth Allison Barr: Es hat uns polarisiert. Es hat viel aufgeweckt, viel ganz normale Gläubige, auch die, die für ihn gestimmt haben, weil sie es nicht besser wussten und ihre ganze Tradition so eng mit der republikanischen Partei verbunden ist. Aber danach haben sie sich gefragt: Was hast du gemacht? Dieser Mann soll göttliche Werte verkörpern Und ich denke, es hat zu vielen internen Fragen geführt. In den gleichen Kirchen, in denen der konservative Wiederaufstieg begann, haben wir jetzt Frauen, die Fragen stellen und beginnen sich zu wehren.
Seit der Veröffentlichung des Buches sei sie aber auch massiv angefeindet worden, professionell, was sie erwartet hatte, und persönlich als Frau und Mutter. Doch die breite Zustimmung ihrer wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen und die vielen Nachrichten ihrer Leserinnen gebe ihr Kraft und Hoffnung, sagt sie lachend.
Oft werde sie gefragt, warum sie denn noch an ihren Glauben festhalte.
Ich habe geschrieben, dass die Bibel patriarchalisch ist. Sie ist von Menschen geschrieben, die in einer patriarchalischen Welt gelebt haben. Das reflektiert aber nicht Gott. Ich meine, was wir in der Bibel sehen, ist, dass Gott uns immer dazu drängt, besser zu werden. Ich glaube Menschen können sich nicht retten, aber Gott kann es.