Der Schock sitzt tief


Theater in den USA und Trump – ein Interview mit Mark Russell 

von Andreas Robertz

The Blind Runner
The Blind Runner, Photos by Amir Hamja

Als Donald Trump 2016 die Wahl zum Präsidenten gewann, ging ein Schrei des Entsetzens durch die liberale US-amerikanische Öffentlichkeit. Besonders Theater und Museen wurden zum Treffpunkt eines erbitterten Wiederstands. Vor dem Public Theater in New York fand am Tag der Vereidigung am 20. Januar eine Mahnwache mit Hunderten von Teilnehmern statt und der Intendant startete das Ghostlight Project für Vielfalt und Inklusivität im Theater; das Whitney Museum machte eine Sonderausstellung zum Thema amerikanische Identität und Einwanderung; und US Künstler*innen riefen zum Generalstreik auf. Acht Jahre später heißt der Präsident wieder Donald Trump, aber die Stimmung ist deutlich anders – alle scheinen wie im Schock zu sein. Andreas Robertz hat mit Mark Russell gesprochen, dem künstlerischen Leiter des  internationalen Theater- und Performance-Festivals “Under The Radar”, das am Sonntag zum 20. Mal eröffnet wurde – mit einer Inszenierung des iranischen Autors Amir Koohestani: 




Auf leerer Bühne rennen ein Mann und eine Frau in zwei Lichtgassen hin und her, dann stehen sie nebeneinander in einem Lichtquadrat, ihre Gesichter gross auf die Rückwand projiziert. Sie reden in Farsi. Sie ist im Gefängnis, nachdem sie für mehr Rechte für Frauen im Iran demonstriert hat: Sieben Jahre, vier Monate und 17 Tage hat sie dafür bekommen. Ihr Ehemann besucht sie täglich. Erwähnen sie etwas Politisches oder Details aus dem Gefängnisleben, endet die Besuchszeit. Die knappen Dialoge sind hilflose Versuche, etwas über die Gefühle des anderen herauszufinden. Er ist Marathonläufer und entschließt sich, beim Marathon in Paris der Laufpartner für eine blinde Frau zu sein, die ihr Augenlicht durch die Polizei verlor: Das Laufen als Prozess zur Freiheit. – Das beklemmende Stück “The Blind Runner” des iranischen Regisseurs und Autors Amir Koohestani kann das diesjährige Under The Radar Festival eröffnen. Festivalleiter Mark Russell hat die Reiseverbote für Künstler aus muslimischen Ländern der ersten Trump Amtszeit allerdings nicht vergessen und ist sich nicht sicher, ob er ein solches Stück nach dem 20. Januar noch einladen könnte:


Es war schon immer eine Herausforderung, Visa für die USA zu bekommen. Früher konnten wir das Büro von Senatorin Clinton anrufen, und sie hat uns bei diesen Dingen geholfen, oder das Außenministerium. Diese Kanäle gibt es nicht mehr. Als Trump an die Macht kam, hat er die Infrastruktur sowohl für Visavergabe als auch für Einwanderung dezimiert und ausgeblutet. Dadurch ist jetzt alles viel teurer. Als wir mit dem Festival anfingen, kostete ein beschleunigtes Visum etwa 1.200 Dollar. Jetzt sind es 12.000 Dollar. Es ist ein Alptraum. Es kann auch gut sein, dass es wieder harte Regeln geben wird, wer einreisen darf und wer nicht. Es könnte das letzte Jahr sein, in dem wir ein wirklich internationales Festival haben, und das ist beängstigend.


Seit dem vergangenen Jahr ist das Festival noch gewachsen. Mit 33 Stücken an 24 Aufführungsorten hat sich das Festival über die ganze Stadt ausgebreitet und ist auf dem besten Wege zu “dem” New Yorker Theaterfestival zu werden. Eigentlich ein Grund zum Feiern, aber vielen Zuschauern ist nicht nach Feiern zumute.

Der Schock sitzt tief


Die Stimmung ist deprimierend. Ich habe das Gefühl, seit der Wahl trauern die Menschen wie bei einem großen Verlust und wissen nicht so recht, wohin sie ihre Energie stecken sollen. Es gibt keine Helden mehr nach dieser Wahl. Das Gefühl während des letzten Monats ist: Ich bleibe zu Hause. Aber wir wollen, dass sie wieder ins Theater gehen und ich bin mir sicher sie würden auch rauskommen, wenn es etwas zu Feiern gäbe, aber mit diesem verheerenden Verlust für das halbe Land …, es ist verrück! 


Mark Russell ist nicht nur besorgt, weil Gastspiele aus künftig “unerwünschten” Ländern unmöglich würden, oder wegen der schlechten Stimmung das Publikum ausbleiben könnte. Kritisches Theater selbst könnte nun zur Zielscheibe für republikanische Gesetzgeber werden, denn Donald Trump hat oft genug versprochen, linksradikale und “woke” Strömungen in der amerikanischen Gesellschaft zu verfolgen. Ist Theater zu “woke”? 


Ja, wir könnten in diese Kategorie eingeordnet werden, und vielleicht bewegt sich das Theater nun davon weg. Die Linke plant ihre Aktionen nun mehr im Rahmen dessen, was jetzt noch möglich scheint.


Für Mark Russell ist dies sein letztes Festival als künstlerischer Leiter. Er hatte es 2005 unter Präsident George Bush als ein politisches Statement für ein weltoffenes Amerika gegründet. Nun endet es für ihn in einem noch schlimmeren gesellschaftlichen Zustand.

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