“Flight to Egypt” – eine Ausstellung am MET zeigt, wie die afrikanische Diaspora sich als Erben der alten Pharaonen sah und sieht.
von Andreas Robertz
In New York sind die Besucherzahlen noch lange nicht dort, wo sie vor der Pandemie waren. Besonders internationale Touristen kommen noch nicht im gleichen Maße wie vorher. Das merkt man am Broadway genauso wie in den grossen Museen der Stadt. Das Met setzt nun auf neue Themen und neues Publikum. So zeigte es im Frühjahr eine bahnbrechende Ausstellung zur Harlem Renaissance, die einen enormen Andrang unter New Yorker auslöste. In einer Nachfolgeausstellung mit dem Titel “Flight to Egypt” – Flucht nach Ägypten – untersucht sie nun, wie Künstler, Wissenschaftler, Musiker, Politiker, Sportler und Prominente der afrikanischen Diaspora sich in Verbindung mit dem pharaonischen Ägypten setzten und durch diese ihre eigen kulturelle Identität neu bestimmten – ein ungewöhnliches Thema.
In einem alten Fernseher läuft ein Sketch des afroamerikanischen Komikers Richard Pryor von 1977: Drei weisse und ein schwarzer Archäologe – Richard Pryor – entdecken in einem alten ägyptischen Grab das Buch der Weisheit. Pryor liest den Text laut vor, in dem geschrieben steht, das Gott in seiner schwarzen Herrlichkeit die Welt erschuf und die Menschen in ihrer schwarzen Schönheit auf der Erde wanderten. Prompt schließen ihn die weißen Archäologen in das Grab ein.
Flucht nach Ägypten
So lustig der Clip auch heute noch ist, so basiert er doch auf der akademischen Vorstellung, das Alte Ägypten sei eine vor-europäische ‚weiße‘ Kultur gewesen: Eine Prämisse, die jahrhundertelang die Forschungs- und Museumsgeschichte beeinflusste. Besonders die Annahme, die Bewohner Ägyptens seien von dunkler Hautfarbe gewesen, galt als abwegig. Dagegen spielten die pharaonische Kultur und ihre Symbole für die Schwarze Diaspora der vergangenen 150 Jahre eine wichtige Rolle in der Identitätsfindung – sei es in der Forschung, der Bürgerrechtsbewegung, der Kunst oder im alltäglichen Leben. Die Ausstellung nehme einen Perspektivenwechsel vor und untersuche den enormen Einfluss, den das alte Ägypten auf die afrikanische Diaspora hatte, erklärt Museumsdirektor Max Hollein:
Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf die tiefe Verbundenheit schwarzer, vor allen zeitgenössischer Künstler mit der Idee, der Ideologie, manchmal auch nur mit der Fantasie des Alten Ägypten und was dies für die Beziehung zur eigenen Identität bedeutet.
Das Met spielte und spielt dabei eine wichtige Rolle:
Viele der Künstler haben ägyptische Kunst zum ersten Mal hier gesehen und dadurch ein tiefes Verständnis für sie entwickelt.
I’ve been formally working on the exhibition for six years.
Sagt Kurator Akili Tommasino:
Ich habe sechs Jahre lang an der Ausstellung gearbeitet. Aber im Grunde ist sie ein Produkt meines ganzen Lebens. Ich habe immer schon Bilder und Texte gesammelt, vor allem in Brooklyn, wo ich als Teil der afrikanischen Diaspora aufgewachsen bin.
Er erinnert sich besonders an die Fassade des Bedford Bowling Centers in Brooklyn, die voller Hieroglyphen und den Abbildungen der Pharaonen von Abu Simbel war. Eine ausgestellte Fotografie von Janet Braun-Reinitz zeigt genau diese Häuserecke.
Für die Ausstellung wurden alle Wände in Sandfarbe gehalten und die Durchgänge zu den Ausstellungsräumen wie bei einem Tempel mit leicht schrägen Seiten gestaltet. Mit fast 200 Arbeiten ist dem Team um Kurator Tommasino eine reichhaltige und auch überraschende Sammlung von Werken gelungen – über Malerei und Fotografie, Grafiken und Installationen zu Filmausschnitten von Musikvideos, Plattencover, Neonkunst und Werbegrafiken für Schönheitsprodukte. Es gibt Werke von Jean-Michel Basquiat, Rashid Johnson, Ming Smith, Noah Davis und eine erfurchtserweckende 4 Meter grosse Bronzefrau von Simone Leigh.
Sie heißt Sharifa und zeigt die lebende Autorin Sharifa Rhodes Pitts, die unter anderem ein sehr wichtiges Buch über Harlem geschrieben hat. Sie ist wie ein altägyptischer Beamter dargestellt, mit einem langen Rock, der direkt von ihrer Brust zum Boden reicht. Ihre Hände liegen auf den Oberschenkeln, und sie hat eine schreitende Haltung eingenommen.
Flucht nach Ägypten
Die Ausstellung zeigt, wie stark und tiefgreifend die Identifikation und Rezeption altägyptischer Motive in der modernen afrikanischen Diaspora war – nicht nur in der Kunst, sondern auch bei politischen Figuren wie Malcolm X und den Black Panther bis hin zu Ikonen der Popkultur wie Michael Jackson, Beyoncé und Nicki Minaj.
Nach seiner erfolgreichen Ausstellung zur Harlem Renaissance vom Frühjahr versucht das Met mit “Flight into Egypt” nun zum zweiten Mal ein Publikum ins Museum zu locken, das nicht zum traditionellen Publikum des Met gehört. Für Direktor Hollein die richtige Strategie – inhaltlich wie auch wirtschaftlich:
Wir stellen gerade fest, dass der internationale Tourismus noch nicht genau das gleiche Niveau erreicht hat wie zuvor. Das wird sich noch entwickeln, aber wir stellen auch fest, dass viel mehr lokale Besucher als früher das Museum besuchen.
Diese Rechnung könnte mit Ausstellungen wie “Flight into Egypt” gut aufgehen.