Die Angst nach der Pandemie

Seelische Folgen von Corona – ein Gespräch mit Dr. Ramani Durvasula

von Andreas Robertz

Die Angst nach der Pandemie - Seelische Folgen von Corona
Billede af Tumisu fra Pixabay

Originalbeitrag: Deutschlandfunk Tag für Tag

Die Angst nach der Pandemie

Dr. Ramani: I don’t think we can underestimate the level of post pandemic anxiety, and it’s such a complicated space……

Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Doch US-Psychologin Dr. Ramani Durvasula hat schon ein Phänomen ausgemacht, das sie post-pandemische Ängste nennt. Sie warnt davor, diese zu unterschätzen: Das ständige Hin und Her mit der Maskenpflicht, die tägliche Frustration über das Verhalten von Mitmenschen,  die Angst vor der Delta Variante – all das stellt jeden unter erhöhten psychischen Stress.

Dr. Ramani: Es ist fast so wie beim Anfang der Pandemie, keiner weiß genau, was passiert. Die Leute haben jetzt einen Masken-Burn-Out und im Sommer ist es ohne Maske sowieso viel angenehmer. Und trotzdem fragt man sich: Begebe ich mich in Gefahr? Setze ich andere der Gefahr aus? Das erzeugt jede Menge Spannungen. Die Tragen der Maske wird zu einer Art Tugend und einige werden richtig wütend, wenn sie andere mit Maske sehen, als ob es Scham in ihnen hervorruft.

Die Angst nach der Pandemie ist wie die Angst vor der Pandemie

Wenn dann plötzlich andere Leute wieder in Restaurants und auf Partys gehen, entsteht bei vorsichtigen Menschen zusätzlich eine fast verzweifelte Rastlosigkeit, aus Angst etwas zu verpassen. Im Englischen wird dies FOMO genannt – the fear of missing out.

Dr. Ramani: Einige scheinen anderthalb Lebensjahre in ein/zwei Monate packen zu wollen

Wie gefährlich dieser zusätzliche Stress ist, erklärt Ramani Durvasula am Beispiel des Sporttauchens. Vor dem Auftauchen verbringt man drei vier Minuten an der  5 Meter Marke, um dem Organismus Zeit zu geben, sich an die veränderten Druckverhältnisse anzupassen und keine Taucherkrankheit zu bekommen, die schwerwiegende Folgen haben kann.

Zu schnelles Auftauchen ist gefährlich

Dr. Ramani: Zu schnell Aufzutauchen ist gefährlich. Das finde ich, stimmt auch für die Pandemie, wenn wir versuchen, zu schnell wieder ins normale Leben zurückzuwollen. Das geht auf die mentale Gesundheit. Wir versuchen zu viel zu tun und die verlorene Zeit wieder gut zu machen. Wir fühlen uns ohne Maske unsicher, weil wir sie anderthalb Jahre getragen haben. Ich rate allen, tun Sie das, was sich richtig anfühlt.

Die Ängste und Verluste, die während der Pandemie erlebt wurden, müssen erst mal verarbeitet werden, sagt sie: Einige haben wichtige Menschen in ihrem Leben verloren, viele ihre Arbeit, Jobs mussten wegen der Kinder zu Hause aufgegeben werden. Einige haben ihr gesamtes Berufsfeld gewechselt. Ausbildungen wurden unterbrochen. Es sei wichtig anzuerkennen, dass diese Zeiten schwierig sind und noch länger bleiben werden.

Dr. Ramani: Ich glaube,die Unsicherheit nach der Pandemie ist genauso destabilisierend wie ganz am Anfang.

Besonders Frauen hat es hart getroffen

Da hilft es nicht, wenn Politiker davon reden, dass alle so schnell wie möglich wieder zurück in die Schule oder an den Arbeitsplatz müssen, als wären die letzten 20 Monate Ferienzeit gewesen. Unlängst sagte New Yorks Bürgermeister Bil de Blasio, im Herbst müssen die Schüler endlich wieder lernen gehen. Seine Bemerkung löste Empörung bei Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern aus.

Dr. Ramani: Viele haben härter arbeiten müssen, weil sie alles kombinieren mussten: von zu Hause arbeiten, Kinder beaufsichtigen, die Familie zusammenhalten, Essen für alle kochen – besonders Frauen hat es oft härter als alle anderen getroffen. Zu sagen, dass jetzt alle wieder arbeiten sollen, ist nicht nur respektlos, sondern eine weitere Sache, die zu der postpandemischen Belastung beiträgt, nämlich sich abgewertet, unterbewertet, nicht gesehen, nicht gehört zu fühlen.

Eine neue Renaissance der Kreativität

Dr. Ramani Durvasula

Doch Ramani Durvasula sieht auch enormes Potential darin, dass so viele Menschen während der Pandemie zu ihren Wurzeln und ursprünglichen Lebensentwürfen  zurückgekehrt sind. Für sie sind Gefühle von Spaß haben, kreativ sein und sein eigener Boss sein wichtiger geworden, als den 08/15 Job, den sie vorher hatten. Sie ist überzeugt, diese Rückbesinnung auf persönliche Werte könne ein völlig neues Lebensgefühl erzeugen.

Dr. Ramani: Für ganz viele war die Pandemie ein existentieller Weckruf. In den frühen Tagen der Pandemie hatten jeder Angst, ich kann mich anstecken und sterben. Ich kann das nur mit einer Kriegserfahrung vergleichen. Da fragt man sich, will ich so weiterleben? Will ich für immer in dieses blöde Büro fahren, mit diesem blöden Boss und in diesem Schuhkarton sitzen? Und für ganz viele war die Antwort nein. Ich glaube, wir werden eine sehr interessante Renaissance haben. Es wird eine Hochzeit menschlicher Kreativität geben.

Originalbeitrag Tag für Tag: „Für viele war die Pandemie ein existentieller Weckruf“
Vollständiges Interview mit Dr. Ramani (in Englisch):
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