$hit Coin – Künstlerkot als Crypto Kunst

Auch Beyoncé muss scheissen

von Andreas Robertz

Video 16 – After Gerhardt Richter White Male Artist

Ein bisher unbekannter Künstler unter dem Pseudonym „White Male Artist“ versteigert nun seit dem 1. Juli 33 NFTs von Konservendosen, die mit seinem Stuhlgang gefüllt sind. Jede Dose ist einem bekannten Künstler und seiner Diät gewidmet „$hit-Coin“ nennt White Male Artist seine Aktion. Morgen werden die letzten fünf Dosen im Online Auktionshaus Phillips versteigert. Seit gestern ist nun auch klar, wer sich hinter dem Pseudonym versteckt: die kanadische transgender Bodybuilder*in und Performancekünstler*in Cassils.

NFTs sind digitale Dateien, die einen einzigartigen unverwechselbaren Code besitzen und deshalb als Originale gehandelt werden können. Angelegt in sogenannten Blockchains, eine Art digitales Buchhaltungssystem, ist ihr Verbleib für die Künstler*innen jederzeit nachvollziehbar. 


4. Juli: Joseph Beuys. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Früchte, Knoblauch, Teig, geschälte Kartoffeln, Maggi Würze, Salbei usw.). 14. Juli: Yves Klein. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Kaffee, Zigaretten, Cointreau, Steak, Blumenkohl…). 20. Juli: Jackson Pollock. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Protein Getränk, rohes Gemüse, Löwenzahnsaft, Milch, Hummer, Apple Pie)

Cassils: Ich habe die weißen männlichen Künstler recherchiert, die laut Auktionsdatenbanken das meiste Geld verdienen. Und ich habe beschlossen, deren Mahlzeiten zu konsumieren und jeden Tag eine Konservendose mit der Ausscheidung davon zu versteigern. Ich verdaue deren Erfahrung, produziere deren Ergebnis und frage dann: „Ist ihre Arbeit wertvoller als meine?“

Cassils ist in Deutschland durchaus für Provokationen bekannt. Mit fast nacktem Körper zeigte sich die transgender Performance-Künstler*in 2015 auf einem Ausstellungsposter des Deutschen Historischen Museums für die Ausstellung „Homosexualität_en“: muskelprotzend, männlich, mit Lippenstift und Brüsten. Cassils stellt Seherwartungen in Frage und rückt den Köper als Kunstobjekt in den Vordergrund.

Piero Manzonis “Merda d’Artista”

„$hit-Coin“ ist unter anderem von dem Kunstwerk  „Merda d’Artista“ – also Künstlerscheiße – des Italieners Piero Manzoni inspiriert.

Cassils: Piero Manzoni kritisierte 1961 die soziopathisch kapitalistische Lust des Kunstmarktes. Er beobachtete die massive Produktion von Warhols Factory mit all dem Glanz und dem Geld, das in New York floss. Manzoni war Teil der Arte Povera Bewegung, 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er entschloss sich, 90 Konservendosen mit seinem Kot zu füllen, je 30 Gramm Künstlerkot kosteten 30 Gramm Gold. Und ich habe überlegt, wie das wohl heute aussehen würde, wenn ich aus Manzonis Kommentar NFTs machen würde.

„$hit Coin“ ist aber nicht nur eine Kritik am aufgeblasenem Kunstmarkt fuer Crypto Kunst und eine Satire auf die Dominanz weißer Männer, sondern auch eine Aufforderung, die neuen Entwicklungen in der digitalen Kunstvermarktung kritisch im Auge zu behalten.

$hit Coin als Satire auf Crypto Kunst

Für viele Künstlerinnen und Künstler bedeutet die digitale Technik erstmal einen Befreiungsschlag, besonders in Zeiten der Pandemie, in der Galerien geschlossen waren. Mit NFTs können sie ohne Zwischenhandel in direkten Kontakt mit Sammler*innen treten. Wenn das Kunstwerk weiterverkauft wird, erfährt der Künstler davon und kann mit Hilfe eines „smart contract“, sowas wie einem Urhebervertrag, der in den Grundcode der Blockchain einprogrammiert ist, Tantiemen beziehen.

Cassils: Die Technik erlaubt zwar so etwas wie künstlerische Souveränität, aber dann wird sehr schnell klar, dass die technische Utopie, die versprochen wird, dieselben Vorurteile und Beschränkungen wiederspiegelt, die auch momentan in der Gesellschaft herrschen. Crypto Kunst und die NFT Community machen da keine Ausnahme. Es geht darum viel Geld zu bewegen, total zynisch. Wo ist da Raum für die anderen Künstler, diese Technik zu benutzen. Deswegen habe ich mich entschlossen „$hit-Coin“ unter dem Synonym White Male Artist zu publizieren, wegen der Tatsache, dass 98 % von denen, die auf dem weltweiten Kunstmarkt erfolgreich sind, aus dieser Gruppe kommen; als wäre ich ein trojanisches Pferd im feindlichen Gebiet.

Dabei geht es Cassils nicht darum, die Kunst der erwähnten Elite zu kritisieren.

Auch Beyoncé muss scheißen

Cassils: Jemand hat mir gesagt, auch Beyoncé muss scheißen. Es gibt diese Körperfunktion, die sehr demokratisch ist, die uns alle vereint. Wenn ich über diese Männer nachdenke und das Nachproduzieren ihrer eigenen Scheiße, heißt das nicht, dass ich ihre Arbeit Scheiße finde. Es ist mehr so wie Manzoni sagt: Künstlerische Arbeit wird manchmal wertgeschätzt und manchmal nicht.

Das Recherchieren der einzelnen Ernährungsweisen habe übrigens viele interessante Einsichten über die Persönlichkeit der Künstler gebracht, sagt Cassils.

Bislang hat jeder Auktionstag im Durchschnitt 2000 Dollar gebracht. Das klingt nicht viel, ist aber weit mehr als Cassils normalerweise verdient. Das ersteigerte Geld geht an eine Künstlerinitiative. So entsteht für Cassils Solidarität statt Gier.

Read and listen to full interview with Cassils (in English)

I am no stranger to bodily waste