Das Signature Theater zeigt “The Watering Hole” von Lynn Nottage

Wasser reinigt, Wasser tröstet, Wasser macht Freude, Wasser ist mystisch – eine Gruppe von Theatermachern und Designer verwandeln ein Off-Broadway Theater im Herzen Manhattans in einen Ort der Erneuerung.

von Andreas Robertz

The Watering Hole von Lynn Nottage
The Watering Hole Photo by Lia Chang

Ab dem 1. Juli können Sportarenen und Konzerthallen, Museen und Theater in New York wieder zu 100 % öffnen. Um Touristen in die Stadt zu locken, können sich Besucher sogar bei Ankunft impfen lassen. New York versucht alles, um wieder zügig auf die Beine zu kommen. Doch ganz so schnell geht das alles natürlich nicht. Broadway und Off-Broadway haben ihre ersten Premieren erst ab September angekündigt.Die Erfahrungen der Pandemie, das physische Abstandhalten, die Masken – all das hat einen bleibenden Eindruck auf viele Theatermacher gemacht. Vielleicht auch deshalb hat die afroamerikanische Bühnenautorin Lynn Nottage zusammen mit 16 Autoren, Designern und Theatermachern das Signature Theater im Herzen Manhattans zu einem Ort der Reinigung verwandelt. „The Watering Hole“ – die Wasserstelle – heißt die Produktion und Andreas Robertz war für uns bei der ersten Live-Theaterpremiere seit März 2020 dabei.



Beim Einlass ins Signature Theater wird man im Treppenhaus von Lynn Nottages warmer Stimme empfangen. Sie erzählt von ihren Großeltern, die um 1900 aus den Südstaaten nach New York flohen. Nur wenige Blocks vom Theater entfernt bezogen sie ihre erste kleine Wohnung – und zwar in einer Zeit, in der die 42ste Straße und der Broadway noch ein Rotlichtviertel mit Revueshows und Bordellen war.

Lynn Nottage erzählt von brutalen Ausschreitungen gegen Schwarze, von irischen Polizisten, die nicht eingriffen, und von ihren Großeltern, die als Schwarze Mitglieder der ersten Broadway Theater-Familien wurden.

The Watering Hole von Lynn Nottage
The Watering Hole Photo by Lia Chang

Theater als Wasserstelle für alle

Das Foyer des Theaters ist das Zentrum der 80 minütigen Reise durch verschiedene Bühnen, Hinterbühnen und Garderoben des Theaters. Hierher kehrt man immer wieder zurück. Bootsskulpturen aus Papier, Wolle, Glasflaschen und Spiegeln erinnern an die lange Überfahrt der Sklaven von Afrika in die Neue Welt. In ein Boot kann man Grußkarten an Gefängnisinsassen legen, an ein anderes Zettel heften, auf die man Dinge geschrieben hat, die einem während der Pandemie das Gefühl von Sicherheit gegeben haben. Blaue Klebebänder markieren den Parcours, Wassertropfen den richtigen Abstand. Den Corona-Regeln entsprechend erlebt man den Performance-Parcours in kleinen Gruppen zu viert.

Wie kann man während der Pandemie Theater machen, in dem sich jeder sicher und geschützt fühlt? Was für Geschichten will das Publikum hören? Auf diese Fragen findet das Team um die zweifache Pulitzerpreisträgerin Lynn Nottage ganz unterschiedliche Antworten. Die Ideen und Umsetzungen sind allerdings nur durch das Motiv des Wassers lose miteinander verbunden.

Der Wasserhydrant als Tor zur Kindheit

Atmo Spray Cab: I remember when I was a kid we’d open one of these up and cheer and it would come shooting out like Niagara up in Buffalo……

In einem anderen Raum steht ein für New York so typischer Wasserhydrant, aus dem kühler Wasserdampf strömt. Eine Frauenstimme erzählt von heißen Sommern und geöffneten Hydranten, an denen sich Kinder quietschend vor Vergnügen abkühlen können. „Komm raus. Ist okay. Die Straße ist heiß und du warst zu lange drinnen.“ ruft die Stimme den Theaterbesuchern zu, die sich auf Parkbänken ausruhen.  

Atmo Spray Cab:…. When the street was hot and we’d been inside too long, in our pre-war walk-ups looking out from boxes at the sun, shimmering sidewalk and catching snatches of song from cars zooming by with the windows down.

The Watering Hole von Lynn Nottage
The Watering Hole Photo by Lia Chang

Kunstinstallation oder Theater? Oder beides?

„The Watering Hole“ – zu deutsch: die Wasserstelle – ist eine Abfolge von Installationen, mehr zeitgenössische Kunst als Theater. Es fehlt vor allem eine durchgängige Dramaturgie. Doch viele der Motive treffen den Zeitgeist, denn wie in vielen US-Großstädten wurde New York nicht nur von der Pandemie erschüttert, sondern auch von einer Protestwelle gegen Rassismus, Polizeigewalt und soziale Ungleichheit. Für Viele kann der Neuanfang kein Zurück-zum-Alten sein.

Deshalb fordern besonders Künstler „of Color“ ein radikales Umdenken in den von Weißen dominierten Führungsetagen der für New York so wichtigen Unterhaltungsindustrie. Es geht ihnen um Vielfalt, Mitsprache, um neue Stücke und Konzepte. „The Watering Hole“ steht zum Beispiel für den Versuch, ein Theater zu zeigen, in dem Geschichten vom Durchhaltevermögen der Großeltern genauso Platz haben, wie Stücke, die von der rituellen Kraft des Theaters erzählen, vom Reinigen und Heilen.

We missed you!

Bevor man das Signature Theater wieder verlässt, steht man vor Bildschirmen, auf denen Schauspieler immer wieder den Satz wiederholen: „I missed you“  – ich habe dich vermisst. Spätestens in diesem Moment wird deutlich, was dem Theater am meisten gefehlt hat, die Begegnung von Schauspielern und Zuschauern, die Theater erst wirklich zum Theater machen.