Künstler in New York und der Hype vom Come-back
von Andreas Robertz
New York atmet wieder – so hat man das Gefühl. Seit Juli ist die Stadt wieder vollständig geöffnet, Masken sind noch in Bussen und Bahnen verlangt, aber Geschäfte und Restaurants können selber bestimmen, wie sie es damit halten wollen. Parks, Strände, Freibäder und Fitnessstudios sind ohne Einschränkungen offen und wenn man dem Hype in den sozialen Medien glauben darf, können sich viele kaum entscheiden, welche Party und welche Vernissage sie denn als erstes besuchen sollen. In den Theatern werden hektisch Spielpläne für die neue Spielzeit angekündigt und im September gehen am Broadway endlich wieder die Lichter an. Andreas Robertz hat sich für uns bei Künstlern der Stadt umgehört, wie enthusiastisch sie wirklich sind und ob denn ein “Back to Normal” in New York nach diesem traumatischen Jahr überhaupt möglich ist?
Es gibt wieder Picknick-Konzerte im Bryant Park direkt hinter der berühmten Stadtbibliothek von New York City. Ein Programm der Carnegie Hall macht es möglich. Jeder, der geimpft ist, kann mit Decken oder Stühlen kommen und Essen und Trinken mitbringen, der Eintritt ist frei. Das erste Konzert gibt die Rock und Folk Musikerin Toshi Reagon mit ihrer Band The BIGLovely.
Zum Auftakt politische Rockmusik
Toshi Reagons Musik kommt aus einer langen Tradition politischer Protestlieder, von der Bürgerrechtsbewegung bis hin zu Black Lives Matter. Das passt, denn New York wurde nicht nur von einer Pandemie erschüttert, sondern auch von einer historischen Protestwelle nach dem Tod von George Floyd. Besonders Künstler of Color fordern mehr Mitsprache, mehr Mitbestimmung und mehr Zugang zu den Kulturinstitutionen der Stadt.
So sieht das auch Johnny May. Seit 40 Jahren arbeite sie als Schauspielerin in der Stadt und habe bisher immer noch ihre Miete gezahlt, sagt sie. Sie hofft auf einen echten Mentalitätswechsel in der Gesellschaft.
Die Nation hat sich bewegt – “Back to Normal” kann es nicht geben
Johnny May: So now that mentality, the things that you used to be aware of, is not going to be the same. You’re going to have to change a way of thinking into a different way. The whole George Floyd movement is making us change, the whole nation has changed. So I love that things are going to be different.
Aber vor allem freut sie sich, endlich ihre Kollegen und das Publikum wieder live zu sehen.
Johnny May: Let me tell you, let me tell you, I got had the privilege of flying down to Miami last week to see a play. I mean we were so excited. We hadn’t seen live theaters so long. I’m telling you it’s nothing like live theater. I was so sick of Zoom. I still got to wear a mask, because I don’t know if the next person has been vaccinated. Now you’re talking about this new spread, I hope they can get an under control and not go back to how it was. I hope so. So yes I’m optimistic. I want Broadway to come back. I can’t stand 42nd Street with no people.
Ein kleiner Teich mit weniger Fischen
Schauspieler Kendrick Merdani kann es ebenfalls kaum erwarten, dass der Broadway wieder aufmacht. Vor der Pandemie war er mit regelmäßigen Engagements im Theater und verschiedenen Fernsehserien ganz gut im Geschäft. Während der Pandemie konnte er immerhin als Schauspiellehrer weiter unterrichten, musste sich aber schnell digital fit machen.
Kendrick Merdani: What came into play is the fact that you gotta be good at Zoom. You need to know, how do you audition onZzoom? How do you set up your own studio recording and for a voice over, how do you self-tape, you know? Now I don’t need to be in LA to have an audition anymore. I don’t need to be in a studio to record myself.
Diese neue Unabhängigkeit empfindet er jetzt als Segen, denn er kann überall im Land vorsprechen ohne Brooklyn verlassen zu müssen. Kendrick ist mehr denn je überzeugt: Wenn du an dein Talent glaubst, musst du ununterbrochen an deinem Handwerk arbeiten, ob die Theater offen sind oder nicht. Jetzt, wo überall wieder Vorsprechen stattfinden, sieht er sich und seine Studenten in einer guten Position:
Kendrick Merdani:: There’s a small pond with a lot of fish, it just feels very crowded, right? And so as you said one third of the fish probably left town, you know and a lot of people probably even questioned the continuation of this pursuit, a lot of people chose to create a family or maybe learn a new skill and transfer that into different career. I see it as a positive because maybe perhaps the pool has become a little less populated. So absolutely. I am optimistic.
“Back to Normal”? Alles geht viel zu schnell
Bildende transgender Künstler*in LJ Roberts ist da mehr hin- und hergerissen. Verschiedene Freunde sind während der Pandemie gestorben und die Erinnerung ist noch sehr frisch. LJ freut sich zwar auch, dass die Galerien wieder auf sind, aber im Grunde geschieht alles viel zu schnell.
LJ Roberts: Ich erinnere mich an die erste Vernissage vor einem Monat. Es hat sich richtig euphorisch angefühlt. Ich habe Leute gesehen, die ich ewig nicht gesehen hatte und jeder war so aufgeregt. Es gab viele Umarmungen, aber es war auch komisch, weil ich das Gefühl habe, all die Trauer und das Trauma hat meinen Körper noch gar nicht verlassen. In der Kunstwelt ist der Hahn wieder ganz schnell voll aufgedreht worden und ich versuche gerade, viele Dinge einfach zu machen, die sonst normal waren, während ich noch nicht wieder voll da bin.
Ein Gefühl von Gemeinwohl wäre schön
LJ weigert sich so zu tun, als wenn es das letzte Jahr nicht gegeben hätte:
LJ Roberts: Das Schwierigste an den offenen Schleusentoren ist der Druck, schnell wieder zu „normal“ zurückzukehren, obwohl nichts am vergangenen Jahr normal war. Es fühlt sich so falsch an, alles wieder ganz schnell vergessen zu wollen und schnell dorthin zu gehen, wo es sich vertraut anfühlt. Anstatt Dinge anders anzugehen, zu sagen: Lass uns zurückkehren, aber anders, so dass Menschen sich gesünder und sicherer fühlen, besser versorgt sind; das Gefühl von einem Gemeinwohl in diesem Land zu haben, das wäre nett.
New York ist wieder offen und die Menschen freuen sich sichtlich, dass die Pandemie anscheinend erst mal vorbei ist. Aber es wird wohl nie wieder so werden wie vorher und das finden viele auch gut. Die Pandemie und die Demonstrationen haben die Stadt aufgerüttelt. Hoffentlich schläft sie so schnell nicht wieder ein.