Das Guggenheim Museum zeigt die erste New Yorker Retrospektive des Chicagoer Künstlers, nicht zu verwechseln mit dem berühmten gleichnamigen australischen Musiker.
von Andreas Robertz
Man könnte meinen, New York habe gerade einen Chicago Moment. Viele Galerien und Museen zeigen zum ersten Mal Retrospektiven wichtiger zeitgenössischer schwarzer Künstler aus Chicago. Die US amerikanische Metropole mit den meisten Todesopfern durch Gang Kriminalität und Polizeigewalt hat eine blühende internationale Kunstszene mit vielen Künstlern, die mit ihrer Kunst unter anderem eben jene Gewalt und den ihr zugrundeliegenden Rassismus zu verarbeiten suchen. Theaster Gates mit seinen riesigen Teerbildern, Kerry James Marshall mit Gemälden mit schwarzen Silhouetten und Nick Cave, übrigens nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen australischen Musiker und Künstler, mit seinen Soundsuits – fantastische Kostüme, die gleichzeitig Kunst- und Performance-Objekte sind. Das Guggenheim hat ihm nun eine Retrospektive mit dem Titel „Forothermore“ gewidmet.
Zwei Performancekünstler in Kostümen aus langen schwarzen Fäden, die beim Bewegen ein metallisches Rauschen erzeugen – mal machen sie sich ganz klein wie wimmernde Kuscheltiere, dann wieder riesengroß wie außerirdische Teermonster. In wirbelnder Ekstase ringen, hüpfen und tanzen sie miteinander, als seien sie ein Wesen mit Tausenden von vibrierenden Fühlern.
In Filmen kann man Nick Caves Soundsuits in seiner Ausstellung Forothermore in Aktion erleben. In „Gestalt“ zum Beispiel sieht man zwei bizarre Wesen in silbernen Anzügen aus metallenen Unterlegscheiben und glitzernden Pailletten. Ihre Köpfe haben Imker-artige Hüte, die Vorderfronten bestehen aus hölzernen Rechenschiebern, mit denen sie je nach Kopfbewegung laute ratternde Geräusche machen können – mal aggressiv, mal zärtlich.
Rodney King
Nick Caves Soundsuits haben ihn weltbekannt gemacht. Dabei lag ihr Ursprung in einem traumatischen Erlebnis, wie Chefkuratorin Naomi Beckwith erzählt:
Es war 1992 und wie viele andere Menschen auf der Welt war Cave erschüttert, wie Rodney King von der Los Angeles Polizei zusammengeschlagen wurde. Er hatte gerade eine neue Stelle angetreten und als er dort am morgen reinkam, hat niemand mit ihm darüber gesprochen, was sie am Abend vorher alle in den Nachrichten gesehen hatten.
Er konnte das Schweigen nicht ertragen und begann aus gefundenen Baumzweigen aus einem nahegelegten Park einen Mantel zu machen.
Dieser Mantel wurde seine Rüstung, etwas, dass ihn beschützen konnte, dass seine Identität als schwarzer Mann verbergen konnte. Wenn er ihn trug, machte er Geräusche. Und diese Geräusche wurden seine Antwort auf das Trauma des Videos. Er konnte nicht über seine Erfahrung reden, er konnte nicht über seine Gefühle reden, aber er konnte sich bewegen und Geräusche machen. Das wurde sein Protest.
Gefühle hörbar machen
Gefühle hörbar machen, Identitäten wechseln, sich verstecken können – aus dem ersten Soundsuit vor 30 Jahren sind mittlerweile mehr als 500 geworden. Viele von ihnen sind bunt und schrill. Sie helfen Cave, der bildender Künstler und Modedesigner ist, der grimmigen Realität etwas Positives und Schönes entgegenzusetzen. Die New York Times nannte ihn kürzlich sogar „Amerikas fröhlichster und kritischster Künstler“.
Cave glaubt, dass er mit seiner Gabe der Schönheit und seiner Fähigkeit, mit seinen Händen etwas Schillerndes und Lichtes erschaffen zu können, etwas Notwendiges für die Welt tut, aber er möchte auch, dass jeder weiß, dass diese Leichtigkeit aus der Dunkelheit des Traumas kommt, das er fühlt.
Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Installation M13, eine imposante, mannshohe Figur aus einem Kokon aus Perlen, Pfeifenreinigern, Netzen und bunten Ketten. In ihm drin eine schwarze Schaufensterpuppe mit grauem Kapuzenshirt – eine Erinnerung an den jungen Trayvon Martin, der 2012 in Florida von einem selbsternannten Nachbarschaftspolizisten erschossen wurde.
Die bizarre Welt des Nick Cave
Besonders faszinierend ist Caves großformatige Installation Wall Relief, die von der Ferne wie ein Gemälde von Jackson Pollock aussieht – eine wilde Welt aus getropfter Farbe. Doch beim Näher-Hinsehen entpuppt sich die Farbe als ein barockes Universum aus Perlen, Porzellanvögeln, Grammofontrichtern, gefundenem Ramsch, Plastikblumen und Messing-Türbelegen.
Mit Nick Cave zeigt das Guggenheim einen außergewöhnlichen schwarzen Künstler, der nach dreißig Jahren nationaler und internationaler Anerkennung nun endlich auch in New York in einer Retrospektive zu sehen ist. Für Kuratorin Naomi Beckwith, die erste schwarze Chefkuratorin des Guggenheims, brauchte es in den New Yorker Museen ein ernsthaftes Umdenken:
Es braucht Jahre eine Ausstellung auszurichten. Und ich glaube in vielerlei Hinsicht haben wir uns schon vor George Floyd alle dieselbe Frage gestellt: Was sind die Kunstgeschichten, denen wir bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt haben? Und welche ethische Position haben wir als Institutionen historisch eingenommen? Warum war unsere Ethik, die sich um die Pflege von Objekten dreht, nicht in der Lage, auch an unser Publikum zu denken und sich um unsere Künstler zu kümmern?
Warum erst jetzt?
Die Frage kann also nicht sein, wo kommen plötzlich all diese schwarzen Künstlerinnen und Künstler her, sondern sie muss lauten: Warum sehen wir sie erst jetzt? Das Guggenheim hat mit dieser Ausstellung Versäumtes nachgeholt. Hoffen wir, dass es so weitergeht.