Bruce Norris neues Stück „Downstate“ am Playwright Horizon
von Andreas Robertz
In den USA werden Sexualstraftäter, nachdem sie ihre Strafe abgebüßt haben, in einem Register geführt, das weitgehend öffentlich zugänglich ist: Name, Adresse, Nummernschild, Arbeitsplatz und Art des Verbrechens, von Kinderpornografie über Vergewaltigung zu Missbrauch von Minderjährigen. Die persönlichen Auswirkungen sind drastisch: ehemalige Straftäter bekommen etwa keinen Zugang zum Internet, haben nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit, keinen Kontakt mit Minderjährigen und dürfen nur mit Zustimmung der zuständigen Behörde reisen. Dieses öffentliche Register führt den Namen, je nach Bundesstaat, fünf Jahre bis zu lebenslang. Das neue Stück Downstate des Dramatikers Bruce Norris greift die Thematik auf und handelt von vier Sexualstraftätern, die wieder ins gesellschaftliche Leben finden wollen.
Ein Haus in Illinois mit einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft: Fred ist ein netter, älterer Herr in einem elektrischen Rollstuhl. Er hat eine kleine Hammondorgel, auf der er gerne Partituren von Chopin spielt. Chopin habe, wie er immer wieder sagt, auch ein tragisches Leben gehabt, weil er die falsche Frau liebte. Fred hat sich allerdings nicht in Frauen unglücklich verliebt, sondern in junge Klavierschüler, die er sexuell missbraucht hat.
Gio ist 60 und war früher Musicaldarsteller am Broadway. Zweieinhalb Jahre hatte er eine sexuelle Beziehung mit einem 14jährigen Kinderdarsteller auf einer Peter Pan Tournee: Er war Pirat und der Teenager ein verlorener Junge. Sechs Jahre lang habe der Junge ihm jeden Monat geschrieben wie sehr er ihn vermisse, bis der Junge sich mit AIDS ansteckte und starb.
Felix ist ein Eigenbrötler und nah am Wasser gebaut. Er hat sich an seiner Tochter vergriffen, als sie ein kleines Kind war. Und Dee ist schwulenfeindlich, aggressiv und zitiert ständig die Bibel. Er meint, er „verdiene“ es nicht, mit den anderen in demselben Haus zu wohnen. Er habe lediglich mit einem minderjährigen Mädchen geschlafen, von der er geglaubt habe, sie sei volljährig gewesen. Dass sie von Vergewaltigung sprach, ist ein Detail, das er gerne weglässt.
Trotzdem kein Mitgefühl
Die Männer haben elektronische Fußfesseln an, weil sie sich nicht mehr als 300 Meter einer Schule nähern dürfen. Sie leben in einer Wohngemeinschaft für ehemalige Sexualstraftäter, irgendwo in Illinois südlich von Chicago, Downstate eben, wie man diese Gegend dort nennt. Aber Downstate bedeutet auch „Heruntergekommen“. Das passt zum Zustand der Männer, der Wohnung und auch, so will es der Autor suggerieren, des amerikanischen Strafvollzugs. So heißt es dann auch im Programmheft, das Gesetz sei in Bezug auf Sexualstraftäter voller Willkür und unnötiger Grausamkeit. Ein eingeschlagenes Fenster im Stück zeugt von der Gewalt, die sich gegen die Männer richtet. Trotzdem entwickelt man kein Mitgefühl mit ihnen.
Das liegt vor allem daran, dass sich alle ihre Vergangenheit so zurechtlegen, als hätte es außer ihnen keine Opfer gegeben. Da muss schon die forsche Bewährungshelferin Ivy nachhelfen, die Felix etwa damit konfrontiert, dass er heimlich seiner Tochter eine Nachricht im Internet zugespielt hat.
Das liegt vor allem daran, dass sich alle ihre Vergangenheit so zurechtlegen, als hätte es außer ihnen keine Opfer gegeben. Da muss schon die forsche Bewährungshelferin Ivy nachhelfen, die Felix etwa damit konfrontiert, dass er heimlich seiner Tochter eine Nachricht im Internet zugespielt hat.
Besonders der freundliche Fred versteht es, sich hinter dem Begriff Krankheit zu verstecken, denn wenn man krank ist, ist man auch nicht wirklich verantwortlich. Als dessen ehemaliger Klavierschüler Andy ins Haus kommt und Fred mit Einzelheiten konfrontiert, meint dieser achselzuckend, er sei damals eben sehr krank gewesen und es täte ihm alles schrecklich leid. Geschickt verstrickt er Andy in alten Erinnerungen, relativiert dessen Wahrnehmung und versucht sogar, ihn zu trösten – vereinzelte Reaktionen im Publikum lassen erahnen, wie unerträglich diese Szene selbst für Unbeteiligte ist.
Besonders der freundliche Fred versteht es, sich hinter dem Begriff Krankheit zu verstecken, denn wenn man krank ist, ist man auch nicht wirklich verantwortlich. Als dessen ehemaliger Klavierschüler Andy ins Haus kommt und Fred mit Einzelheiten konfrontiert, meint dieser achselzuckend, er sei damals eben sehr krank gewesen und es täte ihm alles schrecklich leid. Geschickt verstrickt er Andy in alten Erinnerungen, relativiert dessen Wahrnehmung und versucht sogar, ihn zu trösten – vereinzelte Reaktionen im Publikum lassen erahnen, wie unerträglich diese Szene selbst für Unbeteiligte ist.
Es ist dem ausgezeichneten Ensemble des Chicagoer Steppenwolf Theaters und der guten Regie vom Pam MacKinnon zu verdanken, dass sich die Spannung und das Unbehagen über mehr als 2 Stunden stetig steigern.
Rache oder Vergebung?
Wollen wir Vergebung und Mitgefühl oder doch im Grunde Rache, scheint der Abend fragen zu wollen. Doch damit manipuliert der Autor sein Publikum in eine gesellschaftlich-politische Fragestellung, die mit moralischen Kategorien gar nichts zu tun hat. Das eine ist, auf die unfaire Behandlung von Straftätern hinzuweisen und für einen Vollzug zu kämpfen, der frei von moralischen Begriffen ist. Etwas ganz anderes bedeutet es, das Leid von Opfern und Tätern auf eine Ebene zu stellen. Es ist ein Manko des Stückes, dass man keinem der Täter die Bearbeitung der je eigenen Schuld glaubt. Und wie soll man jemanden am Ende vergeben, der keine Verantwortung für seine Taten übernehmen will?