Jean-Baptist Carpeaux’ berühmte Büste einer versklavten Frau im Kontext von Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus.
Eine kleine, aber wichtige Ausstellung am Met stellt sich die schwierige Frage nach Repräsentation von schwarzen Menschen in der europäischen Kunst des 19ten Jahrhunderts.
von Andreas Robertz
Eine Ausstellung am Metropolitan Museum in New York macht sich auf die Suche nach Repräsentationen schwarzer Menschen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit also, in der die Kampagne zur Abschaffung der Sklaverei, das „Abolitionist Movement“, in Europa immer mehr an Zustimmung gewinnt. 1833 wurde sie in England und 1848 in Frankreich abgeschafft, 1863 endete der amerikanische Bürgerkrieg. In Frankreich unter Napoleon III entstand das Second Empire, das nun seine kolonialen Ansprüche mit der Moralität einer höher entwickelten Zivilisation rechtfertigte. Jean Baptist Carpeaux war der Bildhauer der Stunde und die Büste einer gefesselten schwarzen Frau gehört zu einem seiner Meisterwerke. Sie gilt als wichtigste Repräsentation eines schwarzen Menschen in der Bildhauerei des 19ten Jahrhunderts. In der Ausstellung „Fiction of Emancipation Carpeaux’s Why Born Enslaved! reconsidered“ hinterfragt das Met den Kontext der berühmten Büste und konfrontiert damit den Wahrheitsgehalt der sogenannten Emanzipation.
Die Marmorbüste einer Frau, Stricke an ihren Oberarmen und über ihrem Brustkorb, die linke Brust ist entblößt; ihr Kopf ist gedreht und blickt leicht nach oben, ihr Ausdruck schmerzvoll und gepeinigt; auf dem Sockel die Inschrift: „Pourquoi naître esclave!“ – im Englischen: „Why born enslaved!“.
Das besondere von Jean-Baptiste Carpeauxs Arbeit war nicht nur das Motiv, sondern auch der dramatische naturalistische Ausdruck der dargestellten Frau – die gleichzeitig sexualisiert wird. Dabei sollte sie Empathie für die ideologische Sache der Abolitionisten erzeugen, derer, die die Sklaverei abschaffen wollten. Und er sollte die moralische Rechtfertigung eines neuen Zeitgeistes verkörpern, der Europa, in diesem Falle Frankreich, als herausragende moralische Institution postulierte.
35 Exponate sind um Carpeauxs Büste platziert, darunter Skulpturen, Zeichnungen, Freskenentwürfe, Gemälde, Porzellanfiguren und dekorative Objekte – alle mit Darstellungen schwarzer Menschen, die entweder geheimnisvoll exotisiert oder in ihrem unterdrückten Zustand ideologisiert wurden.
Für Kuratorin Wendy Walters, Poetin und Essayistin, bestand die Herausforderung der Ausstellung darin, diese verschiedenen Darstellungen von schwarzen Menschen in einen Kontext zu bringen:
Wendy Walters: Es ist die Darstellung einer schwarzen Person, aber es ist keine Repräsentation, es ist kein Porträt. Es ist ein Symbol, eine Allegorie. Und in Wirklichkeit ist es die Fiktion eines weißen Künstlers, die Ausgeburt seiner Vorstellung von Schwarz-sein.
Für Kunsthistorikerin Elyse Nelson, die die Ausstellung zusammen mit Wendy Walters kuratiert hat, war die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Repräsentation schwarzer Menschen und der Frage, welche Objekte den Weg in die Ausstellung finden sollten, von zentraler Bedeutung.
Elyse Nelson: Wir waren fest davon überzeugt, dass dies keine Ausstellung sein sollte, die sich durch Masse auszeichnet. Jedes dieser Objekte hat einen ganz bestimmten Platz in der Kunstgeschichte. Sie sind in jedem Buch über Race im 18ten und 19ten Jahrhundert zu finden. Sie stehen für sich und wir wollten nicht zu viele zeigen, die schwer zu ertragen sind.
Zum Beispiel das Porzellanmedaillon des britischen Abolitionisten Josiah Wedgwood. Groß wie ein altes Fünfmarkstück zeigt es die schwarze Silhouette eines knienden Mannes mit Ketten an Händen und Füßen vor weißem Grund, seine Arme wie im Gebet erhoben. Dieses Motiv war so populär, dass es in Siegelringen, auf Teegeschirren und auf Glaskaraffen auftauchte. Sie waren im bourgeoisen Frankreich sozusagen en vogue.
Nach dem Ende der Sklaverei wurden die Motive des gefesselten, muskulösen Mannes und der nackten sexualisierten Frau zur Allegorie eines wilden und unerlösten Afrikas. Man fragt sich, ob schwarze Menschen je wirklich als Menschen gesehen oder in diesen Darstellungen nicht vielmehr als Rechtfertigung weißer Überlegenheitsfantasien instrumentalisiert wurden.
Doch die Ausstellung zeigt nicht nur den historischen Kontext für Carpeauxs Büste. Man habe bewusst den Dialog mit lebenden Künstlerinnen gesucht, erklärt Kuratorin Wendy Walters:
Wendy Walters: Oft engagieren die Museen Künstler mit Auftragsarbeiten. Wir wollten hingegen Gespräche mit Künstlern initiieren, die sich bereits mit diesen Motiven auseinandergesetzt haben. Repräsentation bezieht sich nicht nur auf das einzelne Kunstwerk, sondern ist auch die Methode, diese Ausstellung zu kuratieren.
Eine dieser Arbeiten ist die Marmorbüste eines schwarzen Basketballspielers der Künstlerin Kehinde Wiley. Mit derselben Kopfdrehung und einem ähnlich verunsicherten Blick wie bei Carpeauxs Frau stellt die amerikanische Künstlerin einen Zusammenhang zwischen Rassismus und der amerikanischen Sportindustrie. Oder in der Arbeit „Negress 2017“ von Kara Walker: eine wie achtlos in eine Ecke geworfene schwarze Kapuze aus Gips nur mit einer Kerze beleuchtet, in ihr der Gesichtsabdruck von Carpeauxs Frau.
Wendy Walters: Wir können uns glücklich schätzen, dass diese Ausstellung jetzt stattfindet. Wir sind uns bewusst, dass sie zu einem anderen Moment womöglich nicht hätte stattfinden können. Es ist etwas sehr seltenes, sich diese gründliche Auseinandersetzung mit Kunstwerken zu erlauben, die wirklich heikel und schwierig zu entziffern sind.
„Fictions of Emancipation” ist eine sperrige Ausstellung zu einem schwierigen Thema, vor allem wenn man sie ohne Vorwissen besucht. Den beiden Ausstellungsmacherinnen ist es aber trotzdem gelungen, einen Raum für Kontext und kritischen Diskurs zu öffnen, ohne pädagogisch oder moralisch zu sein. Sie könnte im Umgang mit historisch problematischen Kunstwerken wegweisend sein.