von Andreas Robertz
Seit die Theater in New York wieder offen sind, gibt es ungewöhnlich viele Stücke nicht-weißer Autoren am Broadway und an den kleineren Häusern des Off-Broadway. Darunter auch vermehrt Stücke von asiatisch-amerikanischen Autoren, einer Gruppe, die vorher kaum in Erscheinung getreten war. Das Versprechen vieler Theater nach den Unruhen wegen der Ermordung von George Floyd, aktiv für mehr Vielfalt und Gleichbehandlung für Theater von Minderheiten zu sorgen, scheint ernst gemeint zu sein – vorerst. Und auch notwendig, denn keine andere Minderheit in den USA, insbesondere in New York, leidet mehr unter dem massiven Anstieg rassistisch motivierter Gewalt wie die asiatisch-amerikanische Community. Das hat viel mit der Rhetorik der ehemaligen Regierung Trump zu tun, doch auch die us-amerikanische Geschichte ist voll von anti-asiatischer Gewalt.
Eine junge chinesische Frau sitzt in einem hübsch mit vielen Blumen dekorierten Zimmer – sie trägt zeremonielle chinesische Kleidung, bereitet Tee und lächelt ins Publikum. „Mein Name ist Afong Moi und ich bin 14 Jahre alt“, sagt sie. Wir schreiben das Jahr 1834.
The Chinese Lady
Afong Moi war vermutlich die erste chinesische Frau in den USA – eingekauft von zwei New Yorker Geschäftsleuten als Attraktion aus dem fernen China. Lloyd Suhs Drama „The Chinese Lady“, das gerade am Public Theater Premiere hatte, erzählt die Geschichte dieser bemerkenswerten junge Frau, deren naiver Enthusiasmus, den Menschen ihre Kultur näher zu bringen, auf ein Amerika trifft, für das sie nie mehr als eine exotische Kuriosität war. Das Stück ist in Koproduktion mit dem freien Theaterlabel Ma-Yi entstanden, das sich seit Jahren um mehr Repräsentation asiatischer Autoren in der amerikanischen Theaterlandschaft müht. Für Regisseur und Gründer Ralph Peña hat sich in den letzten zwei Jahren vieles geändert:
Ralph Peña: Hauptsächlich durch Black Lives Matter ist ein größeres Bewusstsein für Fairness entstanden. Damit ist die Unterrepräsentation von Minderheiten auf den amerikanischen Bühnen gemeint.
Mehr Chancen für asiatisch-amerikanische Künstler
Mit neuen Stücken und neuen Kooperationen könne es nun gelingen, mehr Stücke asiatisch-amerikanischer Autoren zu zeigen und damit auch mehr Regisseur*innen und Schauspieler*innen zu beschäftigen. Neben „The Chinese Women“ zeigt Ma-Yi gleichzeitig im SoHo Playhouse, einem wichtigen Off Szenen-Spielort in Lower Manhattan, „Wolf Play“ der südkoreanischen Autorin Honsel Jung. Das Stück handelt von einem kleinen koreanischen Jungen, der im amerikanischen Adoptivsystem ein neues Zuhause sucht.
Es sei wichtig, sagt Ralph Pena, dass Autoren über universelle Themen schreiben, die Menschen zeigen und keine Klischees.
Ralph Peña: Diese Autoren wollen ganz bewusst alte Schubladen aufbrechen, in die Theater sie immer stecken wollen; sie wollen keine Pagoden und keine Kimonos mehr. Sie rebellieren dagegen und schreiben absichtlich über andere Dinge. Das hilft uns Stücke zu produzieren, die vielfältiger sind und Asiaten mit anderen Facetten zeigen.
„The Chinese Lady“ ist auch eine schmerzhafte Geschichtsstunde über 200 Jahre rassistischer Gewalt, von Ausbeutung und Diskriminierung über Enteignung, Internierung, Berufs- und Einreiseverboten bis hin zu Massakern und Lynchjustizen.
Ein massiver Anstieg von Gewalt
Derzeit gäbe es wieder eine neue Welle rassistisch motivierter Gewalt wegen des Corona Virus, erklärt Ralph Pena, teilweise brutale Attacken. Vor wenigen Wochen erst wurde wieder eine asiatische Frau vor eine U-Bahn gestoßen, einer der Schauspieler nach der Probe auf der Straße beschimpft und geschlagen.
Ralph Peña: Dass diese Gewalttaten jetzt so häufig passieren, ist direkt dem Ex-Präsidenten zuzuschreiben, der die asiatische Community mit dem Virus verknüpft hat.
Und das ist definitiv etwas, was wir mit der Show erreichen wollen: auf die anti-asiatische Gewalt aufmerksam zu machen, die in New York und im ganzen Land passiert. Wir bieten nach der Vorstellung ein öffentliches Gespräch an, um über diese Dinge zu sprechen und asiatischen Amerikanern zuzuhören, ihre Ängste und Befürchtungen laut auszusprechen.
Neue Asiatisch-amerikanische Dramatik
Klischees aufbrechen, das leistet auch sehr überzeugend das Stück „Out of Time“ der National Asian American Theater Company, das ebenfalls gerade am Public Theater zu sehen ist: ein Abend mit Monologen für ältere Schauspielerinnen, der mit herrlich trockenem Humor das Älterwerden, verlorene Lieben und das Leben weit weg von der ursprünglichen Heimat thematisiert. Wegen großer Nachfrage wurde die Laufzeit des Stückes bereits zweimal verlängert.
Am Ende von „The Chinese Lady“ tritt Afong Moi aus ihrem hellen Raum heraus ins Dunkel der Vorderbühne und fragt das Publikum, ob es sie sehen könne. Ihre Botschaft: Es wird Zeit, Menschen statt Minderheiten zu sehen.