Putin und die religiöse Rechte in den USA – ist die Love Story wirklich vorbei?
von Andreas Robertz

Seit russische Soldaten in der Ukraine marschieren und ukrainische Städte bombardiert werden, ist es in den USA still geworden, um die sonst so unverhohlene Begeisterung vieler Republikaner und der sogenannten ‚religious right“, den christlichen Konservativen, für Putin als den Retter christlicher Werte. Donald Trumps bewundernde Bemerkung, Putin sei „smart“, zeigt, in was für einem Dilemma sich viele befinden: Wie können sie ihre Bewunderung für Putins Autoritarismus und seinen Kampf gegen den moralischen Zerfall des Westens mit durch Krieg auseinander gerissenen Familien und evangelikalen Christen in bombardierten Städten vereinbaren? Putin und die religiöse Rechte in den USA – hinter den Kulissen scheint es kräftig zu knirschen.
Here’s the deal also, you know, Russia is a Christian nationalist nation. They’re actually Orthodox Christian I’m Russian Orthodox. So, you know, I actually support Putin’s right to protect his people and always put his people first, but also protect their Christian values. I identify more with Russian, with Putin’s Christian values than I do with Joe Biden.
„Russland ist ein christlich-nationales Land, sie sind orthodoxe Christen wie ich. Ich unterstütze Putin, weil er immer seine Leute und christliche Werte beschützt. Ich identifiziere mich mehr mit Putin, mit seinen christlichen Werten, als mit Joe Biden.“
So kommentierte die Republikanerin Lauren Witzke am Tag des Einmarsches russischer Truppen in der Ukraine. Witzke war Anwärterin für den Posten der Senatorin des Staates Delaware und ist eine Vertreterin der christlichen Rechten in den USA. Ihr Kommentar macht deutlich, wie unverhohlen viele noch am Anfang der Invasion auf Seiten Putins standen. Und sie war nicht die Einzige. So twittert der einflussreiche evangelikale Radiohost Dinesh D’Souza, wenn er zwischen Biden oder Putin wählen müsse, entschiede er sich für Putin; oder Teleevangelist Pat Robertson, für den Putin von Gott berufen worden ist, in die Ukraine einzumarschieren. Auch wenn die meisten wichtigen Prediger sich von Putin distanzieren, kritisieren sie ihn selten direkt, sondern machen Bidens verfehlte Politik für den Krieg verantwortlich.
Putin und die religiöse Rechte in den USA – a love story
Um zu verstehen, was die religiöse Rechte an Vladimir Putin und der russisch orthodoxen Kirche fasziniert, müsse man auf die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion schauen, sagt Peter Montgomery. Montgomery beobachtet die Szene seit 20 Jahren und hat zahlreiche Bücher und Essays verfasst:

Peter Montgomery Die Beziehung der religiösen Rechten in den US zu den religiös Konservativen in Russland, die sich selbst pro-Familien Konservative nennen, beginnt in den frühen 90gern, als russische und amerikanische Aktivisten zusammen den „World Congress of Families“ gründeten, ein globales Netzwerk von Anti-LGBTQ Aktivisten und Organisationen, sogenannte „traditionelle Werte“ Organisationen. Als Vladimir Putin 2012 wieder an die Macht kam, ging er eine Allianz mit der russisch-orthodoxen Kirche ein und begann sich als Verteidiger des Christentums gegen den dekadenten Westen, sprich Europa und die USA, zu promoten.
Peter Montgomery Die Beziehung der religiösen Rechten in den US zu den religiös Konservativen in Russland, die sich selbst pro-Familien Konservative nennen, beginnt in den frühen 90gern, als russische und amerikanische Aktivisten zusammen den „World Congress of Families“ gründeten, ein globales Netzwerk von Anti-LGBTQ Aktivisten und Organisationen, sogenannte „traditionelle Werte“ Organisationen. Als Vladimir Putin 2012 wieder an die Macht kam, ging er eine Allianz mit der russisch-orthodoxen Kirche ein und begann sich als Verteidiger des Christentums gegen den dekadenten Westen, sprich Europa und die USA, zu promoten.
Anti-Gay und Anti-Abortion
Als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde und Rechte für Lesben, Schwule und Transsexuelle in seine außenpolitische Agenda aufnahm, schoss Putins Beliebtheit unter den religiösen Rechten schon einmal in die Höhe. Im Zentrum der Zusammenarbeit immer wieder der sogenannte „World Congress of Families“ oder auch WCF.
Peter Montgomery Der „World Congress of Families“ ist auf der ganzen Welt aktiv. Sie haben jährlich einen weltweiten Gipfel und auch regionale Konferenzen. Viele Gruppen der amerikanischen religiösen Rechte sind Mitglied. Sie werben für die Idee, dass der Kulturkrieg ein globaler Kampf ist. Bei der UN arbeiten sie sehr eng mit einigen der repressivsten Regime wie Russland, den Iran und Saudi Arabien zusammen, um jeden noch so kleinen Fortschritt für den Schutz Homosexueller zu verhindern. Sie blockieren jede sprachliche Formulierung, die Rechte von Homosexuellen oder reproduktive Rechte miteinbeziehen.
The World Congress of Families
Der „WCF“ wurde zur Speerspitze im globalen Kulturkrieg gegen den sogenannten Verfall christlicher Werte. Sie boten Putin ideologische und juristische Unterstützung, dafür begannen im Gegenzug enorme Geldsummen in die Kassen der Organisation zu fließen. So pries der einflussreiche Prediger Franklin Graham selbst nach der Annektierung der Krim 2014 Putin für seine Gesetze für den „Schutz Minderjähriger gegen homosexuelle Propaganda“ – ein hoch diskriminierendes Gesetz, das nachweislich eine Welle von Gewalt gegen Homosexuelle in Russland und Tschetschenien auslöste. Für Peter Montgomery wurde der Kampf gegen die Gleichstellung Homosexueller und gegen die Abtreibung zum zentralen Thema der religiösen Rechten:
Peter Montgomery In den letzten 50 Jahren sind die Vereinigten Staaten vielfältiger geworden, nicht nur was Hautfarbe und Herkunft betrifft, sondern auch in religiöser Hinsicht. Unter weißen konservativen Christen herrscht die Angst, dass sie die Kultur nicht mehr so dominieren können, wie sie es gewohnt waren. Neue Auffassungen von Familie und Sexualität sind sehr sichtbar. Sie fühlen sich bedroht. Das bedeutet aber auch, dass es wichtiger ist, gegen Homosexuelle und gegen Abtreibung zu sein, als Demokratie und Freiheit, auch religiöse Freiheit für die sie angeblich doch so kämpfen.
Kurz gesagt ist die Überzeugung der religiösen Rechten: Wenn demokratische Strukturen nicht dazu dienen, Gottes Werte durchzusetzen, dann müsse man andere Strukturen finden. Leider war niemand vom WTF oder anderen assoziierten Organisationen auf Anfrage des Deutschlandfunks zu einer Stellungnahme bereit.
Weißer christlicher Nationalismus
Philip Gorski, Soziologe an der Yale Universität, hat religiösen weißen Nationalismus zu seinem Forschungsgebiet gemacht. Er bestätigt Montgomerys Einschätzung. Dies erkläre auch die breite Unterstützung für Donald Trump. Er nennt zwei Gründe:
Philip Gorski Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass der gute normaler Bürger sich als christlich versteht, sofern wollen sie einen starken Schützer haben und es ist manchen wichtiger, dass ihr politischer Wortführer kämpferisch ist, als dass er irgendwie gläubig ist. Dass der erste Grund und der zweite Grund ist, bei manchen Christen ihre Weltsicht ist geprägt durch eine Ideologie, die ich und andere als weißen christlichen Nationalismus bezeichne, eine Mischung aus Nationalismus, Rassismus, Mysoginismus. Es ist wird immer schwieriger, eine klare Trennungslinie zu sehen.

Follow the money
Beobachte man dem Geldfluss, sagt Gorski, sei es nach dem Embargo russischer Banken zu einem dramatischen Wechsel bei der Internetpräsenz der wichtigsten rechten Mediensendungen gekommen:
Philip Gorski Da war ein sehr interessanter Post auf Twitter vor einigen Tagen, wo sie so die Top Ten Facebook Seiten gelistet haben, also in der Woche vor dem Kriegsanfang und nach Kriegsanfang. Das war verblüffend. Viele konservative Facebook Seiten, die schon immer ganz oben auf der Liste gestanden haben, verschwanden mit einem Male und dann waren ganz andere Sendungen ganz oben. Das kann man natürlich nicht hundertprozentig sicher wissen, aber das habe ich vor einigen Tagen mit paar Daten Wissenschaftlern besprochen: Einerseits fanden sie den Effekt dermaßen groß, dass sie das fast ein bisschen für verdächtig gehalten haben, aber andererseits konnten sie sich nicht anders erklären, als das auf einmal die Geldmittel aus Russland nicht mehr geflossen sind.
Putin und die religiöse Rechte in den USA – ein Schaden für Trump?
Doch die Stimmung könnte sich auch bei der religiösen Rechten drehen. Gorski hat bei republikanischen Politikern und führenden Vertretern der religiösen Rechten einen deutlichen Meinungsumschwung zugunsten der Ukraine und gegen Putin ausgemacht. Wie sich Vladimir Putins Zukunft als religiöse Gallionsfigur entwickelt und was das für die Chancen von Donald Trump bedeutet, ist nach Ansicht des Experten offen:
Philip Gorski Ob der Krieg in der Ukraine Trump politische Schaden bringt, kann man wirklich noch nicht sagen. Ich vermute eher nicht oder keinen so großen Schaden, dass er keine Chancen mehr hat im Wahlkampf. Was mir immer klarer geworden ist im Laufe dieses Konfliktes, wie unglaublich vernetzt die religiösen Rechten inzwischen sind, was für starke Verbindung es gibt nicht nur zwischen Amerika und Russland, sondern auch zwischen den USA und verschiedenen südamerikanische Ländern, Brasilien zum Beispiel, so dass man fast sprechen kann von einer weißen christlichen Internationalen.