Job – ein elektrisierendes Stück über digitale Realität und analoge Wirklichkeit
von Andreas Robertz
Die Arbeit sogenannter Content Moderatoren, die in den sozialen Medien dafür sorgen, dass pornographisches oder gewaltverherrlichendes Material aussortiert wird, gehört wohl zu der härtesten der digitalen Arbeitswelt. Giganten wie Meta, Tik Tok oder YouTube lassen diese Mitarbeiter spezielle Verträge mit Geheimhaltungsklauseln unterschreiben, oft mit dem Zusatz, dass der Unterzeichnenden bewusst ist, dass die Arbeit mentale Probleme erzeugen kann, von Depressionen, Schlaflosigkeit über Verfolgungswahn bis hin zu PTSD, eine schwere psychische Störung, unter der viele Soldaten nach Kriegseinsätzen leiden: das Internet als Schlachtfeld. Das Stück JOB (engl. Arbeit) des jungen amerikanischen Dramatikers Max Wolf Friedlich handelt von einer solchen Mitarbeiterin.
Jane geht es nicht gut. Sie ist dünn und blass, ihre Nerven liegen blank und sie hält ihrem Therapeuten Lloyd eine Pistole an den Kopf. So beginnt das Stück „Job“. Gut 10 Minuten vergehen, bis er sie endlich dazu bringen kann, die Waffe wieder zurück in ihre Tasche zu legen und sich hinzusetzen. Behutsam gelingt es dem viel älteren Lloyd mit der jungen Frau eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Die Idee für das Stück kam Max Wolf Friedlich, als er selbst für ein Start-Up Unternehmen einen Avatar betreuen musste: eine junge Frau als Internet Influenzerin.
Ich hatte diese seltsame Erfahrung, dass ich sozusagen das Leben einer berühmten Frau im Internet lebte. Denn ich schrieb ihre Bildunterschriften und las ihre Nachrichten. Und diese Erfahrung, einen Großteil meines Tages online zu verbringen und dass meine Aktivitäten und mein Verhalten online in vielerlei Hinsicht wichtiger waren als das, was ich offline tat, hat mir geholfen, die Figur Jane zu entwickeln, die Hauptfigur im Stück.
Krisentherapie unter Gewaltandrohung
Die Bühne besteht aus zwei schicken Sesseln und einem alten schönen Schreibtisch. Lloyd hat sich nach mehr als vierzig Jahren Therapieerfahrung den Ruf erarbeitet, mit besonders schweren Fällen zurechtzukommen. Und er schreibt Empfehlungen für Unternehmen über die Arbeitstauglichkeit von Mitarbeitern. Das bringt Jane zu ihm, denn nach einem dramatischen Nervenzusammenbruch, braucht Jane seine positive Bewertung, um wieder arbeiten zu können. Und sie will unbedingt wieder arbeiten, obwohl offensichtlich ist, dass sie die Arbeit traumatisiert. Zum ersten Mal in ihrem Leben, sagt sie, tue sie etwas Sinnvolles, denn die schrecklichen Bilder, die sie aussortiert, muss niemand anderes mehr sehen.
Die Schauspielerin Sydney Lemmon gibt Jane eine bissige, aggressive Note, unberechenbar, nervös und gefährlich. In einem wahnwitzigen Tempo hinterfragt sie die Ideale Lloyds, verteidigt apologetisch die Errungenschaften der digitalen Revolution, kombiniert aktuelle Geschehnisse mit gegoogelten Einsichten und erzeugt so eine nervöse Zeitbombe, die der ruhige und sanfte Therapeut mit Verständnis und Entschiedenheit zu entschärfen versucht. Doch wie kann jemand, der das Internet nur benutzt, jemanden verstehen, der in ihm lebt?
Was ist die Wahrheit?
Als Jane schließlich Lloyd der Pädophilie und Internetpornographie beschuldigt, wird die Therapiegeschichte zu einem Thriller. Was ist Realität, und was existiert nur in Janes Kopf? Der Spielverlauf wird immer wieder mit lauten Sounds und krassem Gegenlicht unterbrochen: Manchmal sagt der Therapeut etwas, was nur Jane hören kann, manchmal scheint er sich zu widersprechen, manchmal ist es nur das Geräusch von Motoren. Schreien und Stöhnen. Das ist interessant, lenkt aber von der guten schauspielerischen Leistung der beiden Spieler ab. Für Max Wolf Friedlich ist der Generationenkonflikt im Stück allegorisch für das wachsende Unvermögen vieler, sich überhaupt noch anderen mitzuteilen:
Es gibt heute das Gefühl, dass wir weniger Möglichkeiten haben, einander zu verstehen als je zuvor. Es fühlt sich an, als hätten immer dieselben Leute die Macht in der Welt. Und gleichzeitig sind die Dinge, die die Kultur antreiben, nicht mehr unbedingt Studios oder Unternehmen, sondern Kinder, die an ihren Handys spielen. Im Stück geht es um die Angst vor menschlicher Beziehung und darum, wie schwer es ist, sich dafür zu entscheiden, einander zu brauchen, und wie sehr wir die vielen äußeren, mildernden Umstände beiseite schieben müssen, wenn wir tatsächlich zusammenkommen und uns für eine bessere Welt einsetzen wollen.
Im Bauch der Cyber-Bestie
Das Stück endet, wie es begonnen hat: Jane steht zitternd mit gezogener Waffe vor Lloyd, weil sie glaubt ihn überführt zu haben. Es bleibt dem Publikum überlassen, zu entscheiden, wem es mehr glauben will.
Da ist die Frage, ob jemand schuldig ist, und wenn dann auch noch eine ernsthafte Gewaltandrohung im Raum steht, die diese Wahrheit irgendwie null und nichtig macht, dann ist das eigentlich egal. Und so sehe ich die Welt heutzutage und unser Verhältnis zur Wahrheit. Zumindest bei Trump in Amerika gibt es immer noch Leute, die sagen: “Na ja, er lügt.” Aber es scheint keine Rolle mehr zu spielen.