Eine Gruppenausstellung im New Yorker Leslie-Lohman-Museum of Art zeigt LatinaX Künstler*innen, die ihr Verhältnis zu Religion und Sexualität auf dem Hintergrund von Kolonialismus und Kapitalismus reflektieren.
von Andreas Robertz
Das kleine Leslie-Lohman-Museum in Lower Manhattan ist New Yorks einziges queeres Museum. Gegründet 1969 als private Sammlung und Galerie wurde es vor allem während der AIDS Krise bekannt, als es die Kunst von sterbenden schwulen Künstlern rettete, die ansonsten verloren gegangen wäre. 2016 machte die Stadt New York aus der Sammlung ein Museum, mit neuen Ausstellungsräumen, Bildungsprogrammen und Stipendien. Mit seiner neuen Ausstellung Indecencia (spanisch) – oder Schamlosigkeit auf Deutsch – zeigt es Arbeiten von Künstler*innen aus dem lateinamerikanischen Raum, die ihr Verhältnis zu Religion und Sexualität vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Kapitalismus reflektieren.
Religion sollte in politischen Fragen, sozialen Anliegen und der Gleichberechtigung an vorderster Front stehen. Aber das ist nicht der Fall. Wenn die Religion ihre Grundsätze wirklich verkörpern würde, dann ginge es ihr um die Ausgegrenzten, die Queeren, die Menschen, die mit Füßen getreten werden. Religion sollte prophetisch sein und für diese Menschen da sein und nicht die Rolle der Ausgrenzung spielen.
Eine Kunst der Schamlosigkeit
Inklusivität, das Mit-Einbeziehen besonders von queeren Menschen, also Menschen der LGBTQIA+ Community, ist Kurator Nicolás Dumit Estévez Raful Espejo Ovalles eine Herzensangelegenheit. Um dies zu erreichen, brauche man eine Theologie der Schamlosigkeit. Oder, um es in den Worten der 2009 verstorbenen argentinischen Befreiungstheologin Marcella Althaus-Reid auszudrücken, die diesen Begriff geprägt hat: Man muss unter den Rock Gottes schauen.
Die Künstler*innen der Ausstellung zeigen auf sehr unterschiedliche Weise, in Film, Fotografie, Performance, Objekten und Skulpturen, was das für sie bedeutet.
Zum Beispiel in der Nachbildung einer kleinen goldenen Strahlenmonstranz der mexikanischen Künstlerin Arantxa Araujo. Aus dem Kreuz ist das Symbol für weiblich geworden und in ihr ist eine Kanüle mit einer roten Flüssigkeit. Nicolás Estévez:
Dies ist eine Monstranz, wo normalerweise in der katholischen Kirche die Hostie drin ist. Aber stattdessen hat sie eines ihrer unbefruchteten Eier hineingelegt.
Ein anderes Beispiel sind die Arbeiten des chilenischen, schwulen Künstlerduos „Las Yeguas del Apocalipsis“ – die Stuten der Apokalypse – , die mit unglaublich mutigen Aktionen während des Pinochet-Regimes die Unterdrückung der Homosexuellen thematisierte. So ließen sie sich in Posen christlicher Märtyrer in den zerrissenen Kleidern ihrer an AIDS gestorbenen Freunde fotografieren oder nackt auf einer Stute von zwei Frauen auf das Gelände der chilenischen Universität führen, um gegen die Exmatrikulation homosexueller StudentInnen zu protestieren.
Inklusion und Sprache
Zum Thema Inklusion gehört für Kurator Nicolás Estévez auch, eine neue Sprache zu finden, die queere Menschen aus dem lateinamerikanischen Raum einbezieht. Aus Begriffen wie Latino oder Latina entstand der genderneutralere Begriff LatinX. Obwohl hier immer noch das koloniale Erbe mitschwingt, sei dies ein Schritt in die richtige Richtung:
Es gibt diese Debatte über Lateinamerika als das „andere“ Amerika, weil die USA den Begriff für sich in Anspruch genommen hat. Ich finde LatinX immer noch ganz gut, weil er die mit einbezieht, die immer ausgeschlossen waren, aber was kommt danach? In Lateinamerika nennen wir uns nach unseren Nationalitäten. Ich wurde erst zum Latino, als ich in die USA gezogen bin.
Wie kompliziert dieser Zusammenhang ist, zeigt die Performance des schwarzen kubanischen Künstlers Carlos Martiel. Er hat die Silhouette der amerikanischen Kontinente auf Wand und Boden gezeichnet, der nördliche Teil ober, der südliche auf dem Boden. Er kniet auf dem Boden mit gefalteten Händen: Schuld, Vergebung, Wiedergutmachung – alles schwingt in dieser Geste mit.
Für viele Lateinamerikaner existiert der Kolonisierte und der Kolonisierende in demselben Körper. Es ist ein andauernder Kampf. Es bedeutet nicht, dass ich mich auf die eine oder andere Seite schlagen muss. Aber ich muss anerkennen, wer ich hinter all dieser Geschichte sein mag.
Indecencia ist noch bis zum 08. Januar im Leslie-Lohman-Museum in New York zu sehen.
Klasse.
Hubertus.