Manahatta – ein Stück über die verlorene Heimat des Lenape Stammes.
von Andreas Robertz
Es ist ein gewohntes Ritual für Theaterbesucher, am Anfang der Vorstellung gebeten zu werden, die Handys auszustellen und Bonbons auszupacken. In New York kann man seit geraumer Zeit, spätestens seit der Wiedereröffnung nach dem Lock-down, in vielen Theatern auch das sogenannte „Land Acknowledgment“ hören: eine Würdigung, dass der Theatersaal auf dem Boden steht, der einst die Heimat der Lenape (Le-NA-Peh) Indianer war. Das Public Theater im Herzen Manhattans fügt dem nun auch eine ausdrückliche Erwähnung der schmerzvollen Geschichte von Völkermord und Vertreibung hinzu. So zumindest vor ihrer neuen Premiere, dem Stück „Manahatta“ der indigenen Dramatikerin Mary Kathryn Nagle, ein Stück, dass diese Geschichte thematisiert.
Kapitalismus und Vertreibung
Das gute Gefühl, ihr eigenes Geld zu verdienen, Gewinn zu machen oder einen guten Deal abzuschließen, verbindet in „Manahatta“ zwei Frauen aus zwei verschiedenen Epochen: Die junge Lenape Frau Lelewaju lebt im 17ten Jahrhundert und verkauft mit Charme und schneller Auffassungsgabe ihre Felle für möglichst viele Perlen an die holländischen Händler. Und Jane, eine Lenape Frau aus Oklahoma, die sich 2004 als erste indigene Frau einen Job an einer Investmentbank an der Wall Street sichern kann. In beiden Fällen hat der Erfolg aber einen grausamen Preis. Im Falle von Lelewaju unterschreibt ihr Stamm einen Vertrag mit Peter Minuit, dem Gouverneur des kleinen niederländischen Handelsposten im Süden Manahattas, über den Verkauf der Insel, ohne den Inhalt des Vertrages wirklich verstehen zu können. Als die Indianer sich weigern, plötzlich eine Steuer auf ihre Produkte zu zahlen, lässt Minuit sie erschießen oder vertreiben. Eine Mauer zum Schutz der frühen Siedler gegen die Indigenen gibt der späteren Wall Street ihren Namen. In den nächsten 250 Jahren werden die Lenape über Pennsylvania und Illinois immer weiter nach Westen abgeschoben, bis sie in einem Reservat in Oklahoma landen.
Es hat sich nicht viel verändert
Die Investmentbank, für die Jane arbeitet, gehört den Lehman Brothers. Sie verkauft sehr erfolgreich Bonds mit jenen faulen Eigenheimkrediten, die zur Finanzkrise 2008 führen und zum Verlust ihres Elternhauses in Oklahoma, denn ihre Mutter Debra hatte einen Kredit auf das Haus aufgenommen, um die Arztrechnungen ihres verstorbenen Mannes zu zahlen. Beide Geschichten enden also mit dem Verlust von Heimat.
Kluge Doppelbesetzungen
Die minimalistische Bühne wird von einem riesigen Tisch beherrscht, die Rückwand besteht aus halbtransparenten Folien: Bei entsprechendem Licht wird aus dem Raum dahinter der Flur der Bank oder ein Wald. Ein paar Steinbrocken auf der Bühne sorgen für das historische Ambiente. Das siebenköpfige Ensemble wechselt virtuos zwischen den Epochen und den Rollen, manchmal so schnell, dass sie zu einer Geschichte zu verschwimmen scheinen: der rücksichtslose Peter Minuit ist gleichzeitig auch der Direktor der Lehman Brother Bank und Jane und Lelejawu werden ohnehin von derselben Schauspielerin verkörpert.
Das macht auch Sinn, denn in Laurie Woolerys Inszenierung geht es nicht nur um ein historisches Lehrstück, sondern auch darum, dass die grundlegende kapitalistische Dynamik, die Menschen ihrer Heimat und ihrer Heime berauben, seit 400 Jahren dieselbe ist. Das macht sich vor allem am Konzept des Eigentums fest. Heimat ist nicht, wo man seit Generationen lebt, sondern wo man beweisen kann, dass der Grund und Boden erworben wurde; und sei es durch einen betrügerischen Vertrag.
New York verliert Einwohner
Ein Stück wie Manahatta auf einer New Yorker Bühne zu sehen, ist längst überfällig; nicht nur, weil es den Gründungsmythos vom Kauf Manhattans für ein paar Glasperlen kontextualisiert und dekonstruiert, sondern auch, weil die indigene Dramatikerin Mary Kathryn Nagle, die gleichzeitig auch Anwältin ist, eine wichtige Perspektive auf die Themen Kapitalismus, Verträge und Vertreibung bietet. Und das zu einer Zeit, in der viele Familien Manhattan verlassen, weil sie sich die teuren Mieten oder die steigenden Hypotheken nicht mehr leisten können oder wollen. In den Corona Jahren 2021 und 22 verlor die Stadt über 500.000 Einwohner, meistens weiße Familien der Mittelklasse und Alleinlebende unter 30. Aber seit in diesem Jahr die Mietpreise nochmals angestiegen und die Corona Miethilfen der Stadt ausgelaufen sind, verlassen auch zunehmend schwarze Familien die Stadt, die seit Generationen hier gelebt haben. Ein für die Stadt wichtiges Stück Kultur geht mit ihnen.
Am Ende des Dramas verlässt Janes Mutter Debra ihr Haus, obwohl Jane die Schulden zahlen könnte – zu weit haben sich die beiden Frauen voneinander entfernt. Wir brauchen kein Haus, sagt sie, solange wir unsere Heimat und unsere Sprache mit uns nehmen, ein bitteres Ende, denn Debra ist im Stück die Einzige, die die Lenape Sprache noch fließend sprechen kann.