„New Photography 2023“ zelebriert die nigerianische Hafenstadt Lagos
von Andreas Robertz
Nach fünf jähriger Pause setzt das MoMA seine Ausstellungsreihe über neue Fotografie mit einem neuen Format fort, das jeweils die Kunstszene einer bestimmten Weltstadt vorstellt.„New Photography 2023“zeigt Arbeiten von Fotografinnen und Fotografen aus der nigerianischen Hafenstadt Lagos
Neue Photographie am MoMA
Ein junger Mann sitzt auf der Straße und baut aus einer Holzplatte, ausgedienten Rollerbladerollen und Industrieschaum einen rollbaren Untersatz. Seine Beine sind gelähmt und er ist obdachlos. Auf einem zweiten Video daneben sieht man ihn dann damit unglaublich geschickt durch die Stadt manövrieren, durch enge Straßen und dichten Verkehr. Er weiß genau, an welchen Stellen er die hohen Bordsteinkanten überwinden oder die Straße überqueren kann. Der Künstler Karl Ohiri kritisiert mit dieser Installation das akute Klassengefälle in Lagos aus der Perspektive einiger der am stärksten marginalisierten Einwohner der Stadt.
Kuratorin Oluremi Onabanjo:
Es ist das Dokumentarische, was alle Künstler interessiert, sei es als Beweisaufnahme oder als historische Spurensuche.
Moderne Stadt und koloniale Geschichte
In drei großen Räumen sind die Arbeiten von sieben FotografInnen thematisch zugeordnet: Das Leben der Stadt, ihre Architektur und die Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte. Besonders beeindruckend dabei die Schwarz-Weiß Aufnahmen von Logo Oluwamuyiwa aus seiner Reihe „Monochrome Lagos“. Der erst 33 Jahre alte Fotograf und Filmemacher ist besonders an Verkehr, Infrastruktur und den vielen Bewegungen der Stadt interessiert. Dabei zeigt er einen beeindruckenden Blick für Details. Zum Beispiel ein Gesicht in einem Rückspiegel, eine Frau mit einem Krug auf ihrem Kopf aus einem Autofenster fotografiert oder zwei Männer, die in einem Bus reden. Immer wieder Menschen, die gehen, Straßen überqueren, in Busse ein- und aussteigen. Inmitten der Fotografien Videos von Männern in einer Schneiderei oder Frauen, die auf traditionelle Weise Rüben stampfen.
Es ist für uns und den Künstler eine besondere Gelegenheit, seine Bilder zusammen mit den Filmen zu zeigen. Das tut er normalerweise nicht. Die Filme sind Straßenstudien und sie zeigen, wie er über Straßenfotografie nachdenkt, seinen Prozess. Er ist jemand, der genauso an Bewegung und Licht interessiert ist, wie daran, besondere Momente einzufangen.
Auch Gebäude tragen Wunden
Gegenüber von Logo Oluwamuyiwas Arbeiten hängen die Bilder von Amanda Iheme. Sehr viel ruhiger und in Farbe konzentriert sie sich auf alte Gebäude der Stadt, ihre Fassaden und ihre Geschichte. Die Psychologin sucht in ihren Bildern nach der Psychologie der Gebäude. Zum Beispiel, bei einem alten kolonialen Verwaltungsgebäude, einer Stadtvilla, oder einer Schule. Dazu kann man Anwohner über die Gebäude reden hören.
Formal sind die Bilder sehr anspruchsvoll. Sie setzt Licht und Schatten in Szene und sie denkt sehr präzise über Farbe und Textur nach. Je länger man sich die Bilder anschaut – und deshalb fügt sie auch die Toninterviews hinzu, um den Kontext zu verdeutlichen -, desto mehr versteht man, dass es sich um Orte handelt, die wirklich der Knotenpunkt für verschiedene Formen von Beziehungen waren. Ein Haus zum Beispiel war ursprünglich das Haus einer Sklavenhändlerfamilie, eine afro-brasilianischen Familie, später wurde es dann ein Restaurant und dann irgendwann ein Kaufhaus.
Mittlerweile ist das Gebäude abgerissen worden, doch in Ihemes Bilder lebt es nun fort.
Das Meer ist Geschichte
Ebenfalls in Schwarz-Weiß wie die Stadtbilder von Oluwamuyiwa, aber in einem völlig anderen Ton sind die Strandbilder des in Berlin lebenden Akinbode Akinbiyi: poetischer, ruhiger, mystischer. Er ist der Älteste der hier ausgestellten Künstler. Manchmal sind nur einzelne Figuren oder Objekte am Strand zu sehen, ein schlafender Hund, leere Strandstühle, eine im Meer betende Frau. Man spürt das zwiespältige Gefühl der Menschen zum Meer. Im selben Raum sind Glaskästen mit Fotocollagen von seinem Freund Abraham Oghobase. In ihnen Texte des ersten britischen Gouverneur von Nigeria, der in pseudowissenschaftlicher Sprache zutiefst rassistische Maßnahmen rechtfertigt. Nochmals Kuratorin Oluremi Onabanjo:
Die Idee, diese beiden Künstler in einen Dialog zu bringen, war, ihre Beziehung zur Geschichte zu zeigen. Und das Meer ist Geschichte, wie der Dichter Derek Walcott sagt. Das Meer als Ort der Herrschaft, der Ausbeutung, aber auch der Ort des Lebens: Die Alltagsszenen, die Akinibyi fotografiert, sind von der Kolonialgeschichte beeinflusst, die uns Abraham Oghobasevor Augen führt.
Die Ausstellung zeigt ausserdem Arbeiten von Kelani Abass und Yagazie Emezi
“New Photography 2023”zeigt die intensive Auseinandersetzung von sieben Fotografinnen und Fotografen mit ihrer Heimatstadt Lagos, eine der lebendigsten Metropolen Afrikas. Absolut sehenswert.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. September am MoMA in New York zu sehen.