„White Girl in Danger“ – Michael R. Jacksons Farce über Whiteness und Blackness
von Andreas Robertz
Das Musical „A Strange Loop“ war die Broadwaysensation der letzten Spielzeit. Nach dem Pulitzerpreis für Drama 2020 wurde es jetzt mit dem Tony als bestes Musical und für das beste Libretto ausgezeichnet. Mit Michael R. Jackson wurde zum ersten Mal ein schwarzer Dramatiker geehrt. Die Presse überschlug sich in Superlativen, obwohl Jackson noch völlig unbekannt war und der Inhalt seines Musicals nicht gerade Broadway Wunschmaterial. Denn es handelt von einem fettleibigen, schwarzen und schwulen Bühnenautor, der ein Musical über einen schwarzen schwulen fettleibigen Bühnenautor schreiben will, der ein Musical über … und so weiter und so weiter – eine wirre Gedankenschleife eben – a Strange Loop. Der zudem in ein Labyrinth aus Selbstzweifeln, Frustration, Rassismus, Homophobie und religiöser Vergiftung führt. Dass Jackson daraus ein fesselndes Musical machen konnte, zeugt von dessen großem Talent und davon, dass der Broadway zunehmend auf neue, ungewöhnliche Stoffe setzt. Nun hatte sein zweites Musical „White Girl in Danger“ am 2nd Stage Theater seine Uraufführung.
Soap Operas sind kitschig, melodramatisch und sentimental. Sie handeln von Eifersucht, Neid, Macht und Reichtum, von dunklen Familiengeheimnissen und in den allermeisten Fällen von weißen Frauen. Seit ihrer Erfindung in den 40ger Jahren zogen sie Millionen von Fernsehzuschauern tagtäglich in ihre Fantasiewelt. So auch den schwarzen Dramatiker Michael R. Jackson. Er hat diesem Motiv mit „White Girl in Danger“ nun ein eigenes Musical gewidmet: mit all dem Kitsch, den schrillen Farben, den schrecklichen Frisuren und den an den Haaren herbeigezogenen Konflikten und Dramen weißer Vorstädte. Herausgekommen ist eine völlig überladene, mit drei Stunden viel zu lange Produktion, deren Geschichte oft verwirrt und die es trotzdem vermag, ihr Publikum zu fesseln. Das mag an der Fülle an tragischen Cliffhangern liegen oder dem Nebeneinander von einfältigen Figuren und intelligenten Texten, oder einfach der Tatsache, dass hinter dem „zu viel, zu lang und zu verwirrend“ eine unbändige Kraft und Freude am Theater steckt.
Das Stück spielt in der imaginären Kleinstadt AllWhite, von der es im Skript heißt, sie sei gleichzeitig ein Ort, eine Identität und eine Perspektive. Hier leben die Schülerinnen Meagan Whitehead, Maegan Whitehall und Megan White zwischen Bulimie, Drogensucht und Pubertät ihr ganz normales Schulleben. Die schwarze Schülerin Keisha aus Blackground will ihr Schicksal als unbedeutende Nebenfigur loswerden und als „beste Freundin“ der weißen Clique endlich auch eine Hauptrolle spielen und so ihre eigene AllWhite Geschichte finden. Dies führt zu einem das Musical bestimmenden Konflikt zwischen Keisha und ihrer Mutter, die von den Assimilationswünschen ihrer Tochter nichts hält.
Der geschieht allerdings das Beste, das eine schwarze Schauspielerin im Fernsehen nur hoffen kann – die Präsidentin zu spielen, in Anlehnung an Michelle Obama. Doch die Welt, in der sie wirkt, funktioniert nicht anders, als die, die sie vorgefunden hat, weil es eine weiße Welt mit weißen Regeln bleibt.
Regisseurin Lileana Blain-Cruz mutet ihrem zwölfköpfigen Ensemble einen physischen Gewaltakt zu, vollgepackt mit blitzschnellen Szenen- und Kostümwechseln, in denen jede Bewegung choreografiert ist.Doch den vielen Motiven der Geschichte hätte ein weniger rasanter Angang sehr viel besser getan. Die Musik ist von der Rock- und Serienmusik der 60er Jahre inspiriert und während der Pause gibt es darüber hinaus noch satirische Werbeeinlagen und eine Talk Show mit Keishas Mutter als Oprah und einer weinende Keisha als Prinzessin Meghan, der Frau von Prinz Harry.
Am Ende dann ein kleines Theaterwunder: Wie Keanu Reeves, der im Kinofilm „Matrix Reloaded“ dem Architekten der Matrix in einem völlig weißen Raum begegnet, treffen Keisha und ihre Mutter hier auf die ganz in Weiß gekleidete Figur des Dramatikers, der in sanftem Ton erklärt, warum er „White Girls in Danger“ geschrieben hat. Er spricht von seinem „inneren weißen Mädchen“, ein Symbol für seine feminine Seite, die niemand sehen wollte. Und er spricht von seiner Hassliebe gegenüber von Weißen produzierten TV Shows und den schwarzen Frauenfiguren darin, von „Vom Winde Verweht“ bis hin zu TV Serien wie „Melrose Place“. Er spricht davon, dass Polizeigewalt und Rassismus oft die einzige Möglichkeit seien, in einer von Weißen bestimmten Welt beachtet zu werden. Und er spricht von seinen eigenen Dämonen, seinen Frauenklischees oder seinem Hang, sich selber in das Zentrum seiner Stücke zu stellen. Der verhindere, dass andere dort Platz finden, obwohl es genau das sei, was ihn zum Schreiben treibe: einen Raum für andere schwarze Menschen zu erfinden. Plötzlich steht nach all dem Klamauk ein Mensch auf der Bühne, der seinem Publikum das Herz ausschüttet. „White Girls in Danger“ wird in dieser Form sicher nicht an den Broadway gehen. Aber die begeisterten Reaktionen des Publikums zeigen: Der Autor ist hier wieder auf der richtigen Spur.