„Shadow/land“ von Erika Dickerson-Despenza, ein Theaterstück über Hurricane Katrina und die Folgen
von Andreas Robertz
New Orleans, das ist der berühmte Straßen Karneval Mardi Gras, das französische Viertel, Ragtime, Dixieland Jazz und die scharfe kreolische Küche. Und New Orleans ist auch Katrina. Im September 2005 verwüstete der Hurrikane weite Teile der Millionenmetropole. Tausende mussten tagelang auf den Dächern ihrer überschwemmten Häuser auf Hilfe ausharren, mehr als 1.400 Menschen verloren ihr Leben. Der Schaden wurde damals auf 140 Milliarden Dollar geschätzt. Viele Häuser in den ärmeren schwarzen Wohnvierteln an den Ufern des Mississippi sind bis heute noch nicht wieder aufgebaut worden. Der Zusammenhang zwischen Umweltkatastrophen und Benachteiligung durch Armut und Rassismus wird heute Umweltrassismus oder auch ökologische Apartheid genannt. Die US amerikanische Dramatikerin Erika Dickerson-Despenza hat dieses Thema zum Gegenstand ihrer Dramen gemacht, sei es über die Trinkwasserkrise in der Stadt Flint oder eben Katrina in New Orleans. Letzteres wurde jetzt am Public Theater mit dem Titel „shadow/land“ uraufgeführt.
Das Shadowland ist ein Wahrzeichen von New Orleans – zumindest sollte es das sein, denn es war das erste klimatisierte Hotel für eine rein schwarze Kundschaft in einer segregierten Stadt und beherbergte jede Menge legendärer Musiker. Und Besitzerin Magalee erinnert sich trotz ihrer leichten Demenz an sie alle.
Atmo: Magalee: „I wanted to be a legend. When your daddy inherited this plot shadowland was born“
Sie hat Shadowland zusammen mit ihrem verstorbenen Mann aufgebaut. Doch Tochter Ruth will das heruntergekommene Hotel nun am Liebsten verkaufen. Sie müsse nur den nächsten Wirbelsturm überstehen, bevor sie einen Vertrag abschließen könne. Doch Katrina ist kein gewöhnlicher Wirbelsturm und so enden Mutter und Tochter auf dem Bartresen, während die Lobby ihres Hotels in den Fluten versinkt.
Gelungene Theaterapokalypse
Um diesen Effekt zu erreichen lässt Bühnenbildner Jason Ardizzone-West den Tresen langsam absenken und den Bereich vor ihm so unter Wasser setzen, dass eine schwarz-braune Brühe wirklich an dem Tresen vorbei zu fließen scheint. Gleichzeitig bläst der Sturm die Bretter der zugenagelten Fenster weg, Glas zersplittert und aus dem Bühnenhimmel beginnt es auch noch zu regnen: eine wirklich gelungene Theaterapokalypse.
Für 60 Minuten sind die beiden Frauen auf kleinstem Raum gefangen. Das lässt wenig an Bühnenhandlung zu und so konzentriert sich alles auf die Konflikte der beiden Akteure, mit Ausnahme einer dritten Figur, die Autorin Dickerson-Despenza „The Grand Master“ nennt. Sie taucht immer wieder als kreolische Karnevalsfigur mit weiß bemaltem Gesicht, in Frack und mit Feodora auf und kommentiert für das Publikum in Brecht’scher Manier das Geschehen. Denn es gibt viel über die Geschichte der Stadt zu lernen, die so sehr von ihren afrikanischen und karibischen Wurzeln lebt und doch so grausam zu deren Nachkommen ist.
Gibt es Glück jenseits der Vergangenheit?
In vielen neuen Stücken schwarzer Autor*innen, die man dieser Tage in New York sehen kann, scheint es um dasselbe Dilemma zu gehen: Soll man die Geschichte des schwarzen Befreiungskampfes durch Jahrhunderte der Diskriminierung ehren und womöglich weiterführen, oder darf das Individuum diese Bürde loslassen und neue, glücklichere Alternativen suchen. Es scheint so zu sein, als wäre eine neue Generation es leid, immer wieder an die Entbehrungen und den Schrecken der Vergangenheit erinnert zu werden. Dabei steht die schwarze Community vielerorts in den USA unter Beschuss wie seit Jahren nicht mehr. Und das nicht nur wortwörtlich. Zum Beispiel, wenn Gouverneur Ron DeSantis von Florida alle Kurse zur afro-amerikanischen Geschichte an höheren Schulen und staatlichen Universitäten per Gesetz verbieten lässt.
Ökologische Apartheid
Was Shadow/land von anderen Stücken ähnlichen Themas unterscheidet, ist sein durchgehend tragischer Ton – keine Sitcom Momente, keine locker-leichten Witze am Rande, nichts, was die Situation leichter machen würde. Mutter und Tochter sind nicht nur auf einem kleinen Tresen gefangen, sondern auch in ihrer eigenen Geschichte. Magalee kann sich zwar nicht mehr daran erinnern, wo ihre Handtasche ist und wie der Ehemann ihrer Tochter heißt, aber wenn sie an die längst vergangenen glorreichen Tage des Hotels denkt, seiner Musik und dem Gefühl von Freiheit, das sie damals empfunden hat, dann beginnen ihre Augen zu leuchten.
Atmo: Magalee: ‚Blake steadyin your flutterin heart against dat thunderbolt of a bass drum.”
Und Tochter Ruth will sich nicht an einen Ort binden, der nur von seiner Vergangenheit lebt und ihr keinen Raum lässt, eigenen Träumen zu folgen. Als sich ein Boot nähert, sind es nur Journalisten, die Fotos vom Elend der beiden verdurstenden Menschen machen. Hört auf, Souvenirs aus unserem Elend zu machen, schreit ihnen Ruth hinterher.
Am Ende rutscht Magalee erschöpft vom Tresen und „The Grand Master“ nimmt sie wie ein sanfter Tod an die Hand und tanzt mit ihr ein letztes Mal. Und Ruth wird von einem Helikopter gefunden. Sie hat Hotel und Mutter den Fluten übergeben und ist entschlossen, die Erinnerungen an beide zu ehren.
Es scheint, so legt es Dramatikerin Erika Dickerson-Despenza nahe, für Schwarze in den USA kein glückliches Leben ohne den Schmerz der Vergangenheit zu geben.