Vom Segen menschlicher Kommunikation

Steven Soderbergh produziert „The Fears“ von Emma Sheanshang am Signature Theater

von Andreas Robertz

Vom Segen menschlicher Kommunikation
Mehran Khaghani, Maddie Corman, Robyn Peterson, Carl Hendrick Louis, Natalie Woolams-Torres, photo by Daniel Rader

Ein Theaterstück über eine Selbsthilfegruppe traumatisierter Menschen in einem buddhistischen Zentrum in New York? Das klingt erst mal wenig vielversprechend. Wahrscheinlich, so vermutet man, ein ziemlich gefühliger Abend, mehr Therapiesitzung als Theater. Doch der US amerikanische Regisseur Steven Soderbergh, der sich mit Filmen wie „Traffic“, „Erin Brockovich” und den “Ocean”-Filmen einen Namen gemacht hat, war so begeistert von dem Drama, dass er es nun selbst in New York produziert hat.



Wenn du in New York meditieren kannst, dann kannst du es überall, frei nach Sinatra formuliert. Die Assoziation liegt nahe, wenn sieben Frauen und Männer, die sich allwöchentlich in einem buddhistischen Zentrum in Downtown Manhattan treffen, still werden und sich auf ihre innere Mitte zu konzentrieren versuchen, während Sirenen heulen oder streitende Menschen und quietschende Aufzugstüren im Gang nebenan zu hören sind. Die Wände in New Yorker Gebäuden sind dünn.

Von Therapien enttäuscht

Hier treffen sich Menschen, die eines gemeinsam haben: Ein schwer belastendes Trauma. Alle sind von Therapien enttäuscht und hoffen, dass in Menschlichkeit, Mitgefühl und Vergebung der Weg zur Heilung liegt. Thea ist neu und so erklären ihr die Mitglieder nach und nach die seltsamen Regeln und Codewörter, nach denen die Sitzungen ablaufen: Über die Traumata selbst wird nicht geredet, man entschuldigt sich nie, für was man sagt; und wenn die Emotionen einen wegzuschwemmen drohen, wird man aufgefordert einen Baum zu pflanzen, was bedeutet, man atmet tief durch und „erdet sich“. Oder man schreibt auf, vor was man alles in diesem Moment Angst hat – halt nur nicht die ganz große.

Feiner Humor

Dramatikerin Emma Sheanshang scheint sehr genau zu wissen, worüber sie schreibt, denn der feine Humor, der das ganze Stück durchzieht, hat viel mit der Sprache und dem Verhalten der Figuren zu tun: Zum Beispiel, wenn Maya jedes Mal, wenn jemand etwas sagt, die Hände auf ihr Herz legt und verständnisvoll „Mhhh“ sagt. Oder wenn das esoterische Vokabular mit den dazugehörigen Plattitüden herrlich selbstironisch benutzt wird.

Maddie Corman and Mehran Khaghani, photo by Daniel Rader
Kerry Bishe, Jess Gabor, Carl Hendrick Louis, photo by Daniel Rader

Thea ist nicht überzeugt, ob es Heilung überhaupt geben kann. Sie hat beide Eltern beim Flugzeugabsturz über Lockerbie verloren und ist zu der Überzeugung gelangt, Gewalt – und in Folge davon traumatisierte Menschen – gehörten unweigerlich zur menschlichen Zivilisation. Und sie weiß das durch Beispiele aus der Geschichte zu belegen, vom brutalen Eroberungswahn eines Alexander des Großen bis hin zum Terroranschlag, der zum Tode ihrer Eltern führte. Rosa ist Mutter und leidet unter Panikattacken, die sie jedes Mal zu überwältigen drohen, wenn es um physische Nähe geht oder das Wort „Keller“ benutzt wird. Die selbstmordgefährdete Katie, die Jüngste im Kreis, gehört einem religiösen Kult an, der sich „Kinder des Todes“ nennt, und man ist regelrecht dankbar, dass man nie so genau herausfindet, was ihr zugestoßen ist. Der schwule Mark, der von einem Priester missbraucht wurde, kann das religiöse Gesäusel seiner anonymen Alkoholikergruppe  nicht mehr ertragen und Susanne bringt immer Gingerplätzchen und Cashewnüsse aus dem Himalaja mit und findet, alle anderen nähmen das Setting nicht ernst genug.

Verzeihen ist eine unmögliche Übung

Als Mia, die die Leitung der Gruppe vom Gründer des Zentrums übernommen hat, plötzlich ihr eigenes Trauma erinnert – der Guru hatte sie vergewaltigt – droht die ganze Gruppe auseinanderzubrechen: Können wir denen, die uns verletzen, wirklich verzeihen? Kann eine Lehre bestehen, wenn die, die sie verbreiten, unser Vertrauen so schrecklich missbrauchen?

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Aber das Vergeben-können ist für viele eine unmögliche Übung. Äußerst widerwillig zitiert Maia am Ende ihren Guru in der Hoffnung, dass die Wahrheit unabhängig von dem sei, der sie ausgesprochen hat. Wenn es schwerfällt, jemandem zu verzeihen, mag es helfen, sich die Person als kleines Kind vorzustellen, dessen Leiden unser Mitgefühl verdient.

Aber das Vergeben-können ist für viele eine unmögliche Übung. Äußerst widerwillig zitiert Maia am Ende ihren Guru in der Hoffnung, dass die Wahrheit unabhängig von dem sei, der sie ausgesprochen hat. Wenn es schwerfällt, jemandem zu verzeihen, mag es helfen, sich die Person als kleines Kind vorzustellen, dessen Leiden unser Mitgefühl verdient.

Vom Segen menschlicher Kommunikation

Dieser Moment macht das Drama weit über seinen Kontext hinaus relevant. Denn das Vertrauen in religiöse Institutionen und den gesellschaftlichen Konsens ist besonders in den USA erschüttert. So bleibt es der Einzelnen und dem Einzelnen überlassen, einen eignen Weg gegen die Angst und die Wut zu finden. So liest man auch auf einer Wandtafel außerhalb des Theaters, an der die Zuschauer persönliche Ängste aufschreiben können, wie viele von ihnen vor allem Angst vor der politischen Zukunft ihres Landes haben. „The Fears“ wirft aber auch einen kritischen Blick auf die digitale Selbsthilfe Industrie, die besonders in der Pandemie gewachsen ist. Denn, so scheint es die Dramatikerin zu suggerieren, nichts ersetzt das Heilungspotential menschlicher Kommunikation – und sei sie auch noch verquer.

Man darf auf weitere Stücke von Emma Sheanshang gespannt sein.