Kunst ist dazu da, Menschen zusammenzubringen
von Andreas Robertz
Der US-amerikanische schwarze Künstler Theaster Gates (Thi-aster Gates) macht aus ausgedienten Feuerwehrschläuchen abstrakte Kunstwerke, versenkt riesige Köpfe von Puppen in flüssigem Teer, kauft verlassene Gebäude und kreiert mit den alten Baumaterialien Kunst, die er dann verkauft, um die Renovierung der Häuser zu bezahlen – aus einem wird ein Archiv alter Schallplatten, ein anderes wird eine Bibliothek, aus vielen anderen bezahlbarer Wohnraum. Gates ist bildender Künstler und politischer Aktivist, Archivar, Stadtplaner, Töpfer, Dachdecker und Musiker. Auf der Art Basel verkaufte er Marmorfließen aus einer abbruchreifen Bank in Chicago für 5000 Dollar und machte mit dem Erlös aus der Bank ein Kulturzentrum. Er stellte auf der Biennale in Venedig aus und seine Teerarbeiten sind in vielen wichtigen Kunstmuseen der Welt zu sehen. Zum ersten Mal ist er nun mit einer Solo Ausstellung mit dem Titel „Young Lords and their Traces“ in New York zu sehen.
Objekte sind voller Erinnerung
Objekte sind keine toten Materialien, sondern von ihrer Geschichte und dem Geist ihrer Besitzer belebt. So könnte man eines der fundamentalen Arbeitsansätze von Theaster Gates umschreiben. Zum Beispiel, wenn er die alten Dielen einer Exerzierhalle benutzt, um daraus große Wandreliefs zu machen, die die Form von Kreuzen haben. Oder wenn er aus den Kacheln des Badezimmers seiner Eltern, in das sich seine Mutter immer zum Beten zurückzog, eine Installation mit dem Titel “Bathroom Believer” herstellt.
Kunst als Trauerarbeit
Auf drei Etagen stellt das New Museum mehr als 100 Objekte des Künstlers aus und obwohl er vor allem für seine monumentalen Installationen, großformatigen Teerbildern und sozialen Projekten bekannt ist, stellen die Ausstellungsmacher hier einen eher privaten Theaster Gates vor. Viele der sehr persönlichen Arbeiten erinnern an kürzlich verstorbene Familienangehörige und Freunde. In seiner Einführung spricht Gates davon, wie er vor lauter Produzieren-Müssen, keine Zeit gehabt habe, zu trauern. Also wurde die Arbeit selbst eine Form der Trauer:
The artist is no longer able to feel. One is only able to produce and the feeling is left to be embedded in the thing.
So erinnern sieben abstrakte Bilder aus Teerpappe, Teer, Gummi und Kupfer an die Arbeit seines Vaters, der Dachdecker war. Ganz in der Nähe steht dessen alter Teerwagen voller Kratzer und Beulen, gehärteter Teertropfen und einem platten Reifen – eine Skulptur über Geschichte, Handwerk und harte Arbeit. Kurator Gary Carrion-Murayari:
Sein Vater war Dachdecker und das Teeren der Dächer ist ein wichtiger Teil der Arbeit. Der Wagen ist eine Wertschätzung für das Geschenk des Handwerks, das sein Vater ihm gab. Theaster hat viel harte körperliche Arbeit in seinem Leben machen müssen. Später konnte er das Wissen um die Materialien nutzen und etwas wirklich Schönes daraus machen.
Ein meterlanges Regal voller Bücher erinnert an seinen Freund, den Kunsthistoriker Robert Bird, der ihn in die Welt russischer Kunst einführte und für die Filme Andrei Tarkovskys begeisterte. Nach seinem Tod wäre die Bibliothek ohne Gates sicher für immer verschwunden.
Die Young Lords als Geistige Väter und Mütter
Doch das Herzstück der Ausstellung ist die Installation Black Vessel for the Traces of the Young Lords and their Spirits: 35 getöpferte Objekte aus Lehm stehen wie vergessenen Gestalten in einem großen Raum als wären sie alle Teil eines Sammellagers alter Artefakte. Eine Improvisation seiner Band The Black Monks mit dem Gospelsänger Billy Forston gibt den Soundtrack dazu. Dickbauchige Krüge sind hier neben langen Stelen zu sehen, die mit ihren Noppen und glatten Oberflächen an afrikanische Ebenholzkunst erinnern; Figurinen von weiblichen Gottheiten, die wie aus einer archäologischen Ausstellung zu kommen scheinen, neben abstrakten phallusartigen Gebilden. Die Skulpturen sind den Young Lords gewidmet, einer Gruppe von Aktivisten, die in den 70er und 80er Jahren in Chicago gegen die Verwahrlosung ihrer Nachbarschaft, für Bildung und wirtschaftliche Autonomie kämpften. Von konservativen weißen Kreisen als Straßen Gang verunglimpft, gerieten sie ähnlich wie die Black Panther ins Visier des FBI. Sie sind Theaster Gates geistige Väter und Mütter.
Kunst soll Menschen zusammenbringen
Man ist dankbar, dass die Ausstellungsmacher viele Informationen und Hintergründe auf ausführlichen Wandtexten zu Verfügung stellen. Denn beim bloßen Schauen wirken viele der Objekte eher konzeptionell und fremd. Für Chefkurator Massimiliano Gioni ist Gates ein ungeheuer vielseitiger Künstler, der in seinen Arbeiten immer auch Geschichte, soziale Funktion und Spiritualität reflektiert – als sei die Kunst hauptsächlich dazu da, Menschen zusammenzubringen und Wissen an sie weiterzugeben.
Es war sehr schön im Laufe der Installation mitanzusehen, wie umfassend seine Idee von Kunst ist. Das ist sehr inspirierend, gerade auch für junge Künstler. In den letzten zwei Wochen gab es in New York eine Kunstmesse, Kunstauktionen und jeden zweiten Tag eine Ausstellungseröffnung. New York ist ein großer Marktplatz der Kunst. Und es ist interessant zu sehen, dass ein finanziell sehr erfolgreicher Künstler wie Theaster (Thi-aster) eine sehr komplexe Vorstellung davon hat, was alles Kunst sein kann.
The Young Lords and their Traces ist noch bis zum5. Februar im New Museum in New York zu sehen.