Objekte sind voller Erinnerung – Theaster Gates am New Museum in New York

Kunst ist dazu da, Menschen zusammenzubringen

von Andreas Robertz

Objekte sind voller Erinnerung - Theaster Gates am New Museum in New York
Theaster Gates, Black Vessel for the Traces of Our Young Lords and Their Spirits – Vessel #1, 2022. Courtesy Theaster Gates. Photo: Jim Prinz Photograph

Der US-amerikanische schwarze Künstler Theaster Gates (Thi-aster Gates) macht aus ausgedienten Feuerwehrschläuchen abstrakte Kunstwerke, versenkt riesige Köpfe von Puppen in flüssigem Teer, kauft verlassene Gebäude und kreiert mit den alten Baumaterialien Kunst, die er dann verkauft, um die Renovierung der Häuser zu bezahlen – aus einem wird ein Archiv alter Schallplatten, ein anderes wird eine Bibliothek, aus vielen anderen bezahlbarer Wohnraum. Gates ist bildender Künstler und politischer Aktivist, Archivar, Stadtplaner, Töpfer, Dachdecker und Musiker. Auf der Art Basel verkaufte er Marmorfließen aus einer abbruchreifen Bank in Chicago für 5000 Dollar und machte mit dem Erlös aus der Bank ein Kulturzentrum. Er stellte auf der Biennale in Venedig aus und seine Teerarbeiten sind in vielen wichtigen Kunstmuseen der Welt zu sehen. Zum ersten Mal ist er nun mit einer Solo Ausstellung mit dem Titel „Young Lords and their Traces“ in New York zu sehen.


Deutschlandradio Kultur, Fazit

Objekte sind voller Erinnerung

Objekte sind keine toten Materialien, sondern von ihrer Geschichte und dem Geist ihrer Besitzer belebt. So könnte man eines der fundamentalen Arbeitsansätze von Theaster Gates umschreiben. Zum Beispiel, wenn er die alten Dielen einer Exerzierhalle benutzt, um daraus große Wandreliefs zu machen, die die Form von Kreuzen haben. Oder wenn er aus den Kacheln des Badezimmers seiner Eltern, in das sich seine Mutter immer zum Beten zurückzog, eine Installation mit dem Titel “Bathroom Believer” herstellt.

Kunst als Trauerarbeit

Auf drei Etagen stellt das New Museum mehr als 100 Objekte des Künstlers aus und obwohl er vor allem für seine monumentalen Installationen, großformatigen Teerbildern und sozialen Projekten bekannt ist, stellen die Ausstellungsmacher hier einen eher privaten Theaster Gates vor. Viele der sehr persönlichen Arbeiten erinnern an kürzlich verstorbene Familienangehörige und Freunde. In seiner Einführung spricht Gates davon, wie er vor lauter Produzieren-Müssen, keine Zeit gehabt habe, zu trauern. Also wurde die Arbeit selbst eine Form der Trauer:

Theaster Gates_Photo by Sara Pooley

The artist is no longer able to feel. One is only able to produce and the feeling is left to be embedded in the thing.

So erinnern sieben abstrakte Bilder aus Teerpappe, Teer, Gummi und Kupfer an die Arbeit seines Vaters, der Dachdecker war. Ganz in der Nähe steht dessen alter Teerwagen voller Kratzer und Beulen, gehärteter Teertropfen und einem platten Reifen – eine Skulptur über Geschichte, Handwerk und harte Arbeit. Kurator Gary Carrion-Murayari:

Sein Vater war Dachdecker und das Teeren der Dächer ist ein wichtiger Teil der Arbeit. Der Wagen ist eine Wertschätzung für das Geschenk des Handwerks, das sein Vater ihm gab. Theaster hat viel harte körperliche Arbeit in seinem Leben machen müssen. Später konnte er das Wissen um die Materialien nutzen und etwas wirklich Schönes daraus machen.

Objekte sind voller Erinnerung - Theaster Gates am New Museum in New York
Theaster Gates: Young Lords and Their Traces,” 2022. Exhibition view: New Museum, New York. Photo: Dario Lasagni. Courtesy New Museum
Objekte sind voller Erinnerung - Theaster Gates am New Museum in New York
Theaster Gates
Sweet Chariot, from the series Painting Black with Kettle,
2012, Photo: Robertz

Ein meterlanges Regal voller Bücher erinnert an seinen Freund, den Kunsthistoriker Robert Bird, der ihn in die Welt russischer Kunst einführte und für die Filme Andrei Tarkovskys begeisterte. Nach seinem Tod wäre die Bibliothek ohne Gates sicher für immer verschwunden.

Die Young Lords als Geistige Väter und Mütter

Doch das Herzstück der Ausstellung ist die Installation Black Vessel for the Traces of the Young Lords and their Spirits: 35 getöpferte Objekte aus Lehm stehen wie vergessenen Gestalten in einem großen Raum als wären sie alle Teil eines Sammellagers alter Artefakte. Eine Improvisation seiner Band The Black Monks mit dem Gospelsänger Billy Forston gibt den Soundtrack dazu. Dickbauchige Krüge sind hier neben langen Stelen zu sehen, die mit ihren Noppen und glatten Oberflächen an afrikanische Ebenholzkunst erinnern; Figurinen von weiblichen Gottheiten, die wie aus einer archäologischen Ausstellung zu kommen scheinen, neben abstrakten phallusartigen Gebilden. Die Skulpturen sind den Young Lords gewidmet, einer Gruppe von Aktivisten, die in den 70er und 80er Jahren in Chicago gegen die Verwahrlosung ihrer Nachbarschaft, für Bildung und wirtschaftliche Autonomie kämpften. Von konservativen weißen Kreisen als Straßen Gang verunglimpft, gerieten sie ähnlich wie die Black Panther ins Visier des FBI. Sie sind Theaster Gates geistige Väter und Mütter.

Objekte sind voller Erinnerung - Theaster Gates am New Museum in New York
Theaster Gates, Papaw , 2021
Photo: Robertz
Objekte sind voller Erinnerung - Theaster Gates am New Museum in New York
Theaster Gates
Black Vessel for the Traces of Our Young Lords and
Their Spirits—Vessel #6 , 2022, Photo: Robertz

Kunst soll Menschen zusammenbringen

Man ist dankbar, dass die Ausstellungsmacher viele Informationen und Hintergründe auf ausführlichen Wandtexten zu Verfügung stellen. Denn beim bloßen Schauen wirken viele der Objekte eher konzeptionell und fremd. Für Chefkurator Massimiliano Gioni ist Gates ein ungeheuer vielseitiger Künstler, der in seinen Arbeiten immer auch Geschichte, soziale Funktion und Spiritualität reflektiert – als sei die Kunst hauptsächlich dazu da, Menschen zusammenzubringen und Wissen an sie weiterzugeben.

Es war sehr schön im Laufe der Installation mitanzusehen, wie umfassend  seine Idee von Kunst ist. Das ist sehr inspirierend, gerade auch für junge Künstler. In den letzten zwei Wochen gab es in New York eine Kunstmesse, Kunstauktionen und jeden zweiten Tag eine Ausstellungseröffnung. New York ist ein großer Marktplatz der Kunst. Und es ist interessant zu sehen, dass ein finanziell sehr erfolgreicher Künstler wie Theaster (Thi-aster) eine sehr komplexe Vorstellung davon hat, was alles Kunst sein kann.

The Young Lords and their Traces ist noch bis zum5. Februar im New Museum in New York zu sehen.