Ralph Fiennes ist Robert Moses

David Hares Stück “Straight Line Crazy” mit Ralph Fiennes am Shed in New York

von Andreas Robertz

Ralph Fiennes ist Robert Moses
Straight Line Crazy, by David Hare performed at The Shed, NYC October 16, 2022 Starring Ralph Fiennes Photo © Kate Glicksberg Photo credit: Kate Glicksberg for The Shed

Der US-amerikanische Architekt und Städteplaner Robert Moses hat mit seiner Vision eines motorisierten Amerikas von den späten 1930er bis in die 60er Jahre hinein wie kein anderer das Stadtbild New Yorks und das Autobahnnetz der USA geprägt. Überall im Land baute er schnurgerade Schnellstraßen und Autobahnen, die Innenstädte mit Vororten verband, entwarf unter anderen das Gebäude der Vereinten Nationen, das Bronx Stadium und Lincoln Centers in Manhattan und konzipierte Parks als urbane Erholungszentren. Seine kompromisslose Art brachte ihm den Spitznamen Straight Line Crazy ein. Doch viele seiner Entscheidungen sind heute vor dem Hintergrund von Rassismus und Diskriminierung fraglich. Der britische Dramatiker David Hare hat nun ein Stück über Robert Moses mit dem Titel „Straight Line Crazy“ geschrieben, mit Ralph Fiennes in der Hauptrolle.


Originalbeitrag

Gleich zu Beginn von Douglas Adams Kultroman „Per Anhalter durch die Galaxis“ wird die Erde gesprengt, weil sie Platz für einen Hyperraum-Expressweg machen muss. Die Erdbewohner hatten den Anhörungstermin bei der zuständigen intergalaktischen Planungskommission verpasst: eine wunderbare Satire auf den Gedanken, dass das Wohl des Einzelnen oder einer Gruppe gegenüber dem Gemeinwohl einer größeren Gruppe weichen muss.

Die Vision einer modernen Stadt

In der Welt des Straßen- und Stadtplaners Robert Moses wäre die Erde auf jeden Fall gesprengt worden, auch wenn der Anhörungstermin nicht verpasst worden wäre. Er glaubte nicht an Kompromisse oder Anhörungen, Nachbarschaftstreffen oder Planungsbehörden. Für ihn stehen Menschen grundsätzlich skeptisch allen Veränderungen gegenüber und deshalb brauche es entschlossenes Handeln, um das Leben vieler zu verbessern.

In „Straight Line Crazy“ zeigt Dramatiker David Hare zwei Situationen aus dem Leben des legendären Stadtplaners: am Anfang seiner Kariere, 1926, als er sich mit reichen Aristokraten New Yorks anlegte, die verhindern wollten, dass er auf Long Island Autobahnen baut, um den Massen New Yorks deren Strände zu erschließen. Der zweite Moment ist 30 Jahre später, 1955, als er eine Autobahn mitten durch Manhattan bauen will und sich mit einer breiten Bürgerbewegung für den Erhalt der ikonischen Nachbarschaft um den Washington Square Park konfrontiert sieht: der Beginn und das Ende einer beispiellosen Karriere.

Ralph Fiennes ist Robert Moses
Ralph Fiennes as Robert Moses in Straight Line Crazy, The Bridge Theatre, London, March 16 – June 18, 2022. Photo: Manuel Harlan. Courtesy of The Bridge Theater.

Ralph Fiennes ist Robert Moses

Die Bühne zeigt Moses Architektenbüro mit beweglichen Planungstischen und Reißbrettern mit Plänen von Long Island und den neuen Autobahnen. Ralph Fiennes spielt Moses mit hochgekrempelten Ärmeln und in die Seiten gestemmte Armen, tatkräftig und entschlossen, wenn es um seine Visionen geht, unbeholfen und schüchtern in sozialen Interaktionen mit seinen Angestellten, vor allem wenn es Frauen sind.  30 Jahre später hat er einen viel zu großen Anzug an und beschimpft jedweden Widerstand gegen seine Pläne als fortschrittsfeindliches Getue von Menschen, die nichts mit ihrer freien Zeit anzufangen wissen. Was als Feldzug für die Massen New Yorks begann, endet in Verachtung für die Menschen, für die er eigentlich vorgab zu bauen.

Ein besonderer Höhepunkt des Abends ist, wenn er sich mit New Yorks Gouverneur Al Smith 1926 auseinandersetzen muss: eine Charakterstudie zweier Machtmenschen, die sich brauchen, um an genaue jener Macht zu bleiben.

Oh, you want my job? Do you? Do I want it? Yeah. Do you wanna be governor? Right? Al? Tell me when the bus is coming and I’ll be there to push you under it. You’ll join a fucking line.

Theater ist mehr als das Nacherzählen einer Geschichte

Ansonsten fehlt dem Stück aber Dynamik, die gute Ensembleleistung geht in Massen von Text unter, die mehr zu erklären versuchen, als Spielmöglichkeiten bieten. Die Regie beschränkt sich darauf, die Geschichte zu erzählen, anstatt sie zu interpretieren. Weder Autor noch Regie geben Auskunft darüber, wie trotz glänzender Kariere aus dem idealistischen Moses ein verbitterter Misanthrop wurde.

Das führt dazu, dass man keinerlei Gefühl für die Figur entwickeln kann. Robert Moses verschwindet hinter der Absicht des Autors, einen von seiner Arbeit besessenen Technokraten zu zeigen, dessen Pläne die weiße Mittelschicht zugunsten ethnischer Minderheiten bevorzugte. Denn viele seiner Straßen und Bauvorhaben zerstörten historisch gewachsene schwarze Nachbarschaften in New York und Tausende wurden in Plattenbausiedlungen in Vorstädte umgesiedelt, in denen sie nicht leben wollten.

War Robert Moses ein verkappter Rassist?

Doch Robert Moses war auch ein Mensch, der eine echte Vision einer modernen Stadt voller Parks und Sportstadien, reguliertem Verkehr und sauberen Wohngebieten hatte. Am Ende von Straight Line Crazy hat man allerdings den Eindruck, Moses sei im Grunde ein verkappter Rassist gewesen.

Ironisch ist, dass das Stück in Kooperation mit dem Shed gezeigt wird. Das Kulturzentrum dient dem Hudson Yard als Aushängeschild, einem milliardenschweren Bauprojekt des ehemaligen Bürgermeisters Bloomberg, für das enorme Summen an Steuergeldern verbaut wurden und in dem nun die Superreichen der Stadt in luxuriösen Wohntürmen leben. Zwar wurde durch den Hudson Yard keine Nachbarschaft direkt zerstört, doch die Gentrifizierung, die folgte, hat das Leben in dieser Gegend Manhattans unbezahlbar gemacht.