Grief and Grievance – Art and Mourning in America“ am New Museum
von Andreas Robertz
In seiner ersten Ausstellung nach dem Lock-down zeigt das New Museum in New York eine große Gruppenausstellung zum Thema Trauer und Rassismus in Amerika. 37 afroamerikanische Künstler zeigen Arbeiten, die Trauer, Gedenken und Verlust als Antwort auf rassistische Gewallt thematisieren.
2019 starb der Kurator und ehemalige Leiter des Münchner Haus der Kunst Okwui Enwezor nach schwerer Krankheit. In seinen letzten Monaten arbeite er noch unermüdlich an einer Gruppenausstellung in New York, die Trauer, Gedenken und Verlust in der afroamerikanischen Community von der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre bis zu Black Lives Matter Bewegung thematisieren sollte. Sie sollte im Wahljahr 2020 eröffnen, doch dann erschien wegen Covid-19 erst mal nur der Katalog. Im Zentrum der Ausstellung stand, wie Okwui Enwezor es formulierte, der „nationale Notstand fortwährender schwarzer Trauer“ im krassen Gegensatz zum politisch inszenierten Nachtrauern einer vergangen Zeit im erstarkten weißen Nationalismus. Nach seinem Tod vollendete ein Team aus Künstlern und Kuratoren seine Vision der Ausstellung, auch als Tribut an den visionären Kurator.
Nari Ward: Ich habe Grauen und Beklemmung gespürt, sehr ähnlich wie heute, ein überwältigendes Gefühl von Unverständnis gegenüber dem, was gerade passiert.
Der New Yorker Künstler Nari Ward erinnert sich noch genau an den Ursprung seiner Arbeit „Peacemaker“ im Jahr 1994 während der Clinton Regierung, als der Bosnien Krieg und der Völkermord in Rwanda ihn völlig mitnahm.Er bedeckte damals einen schwarzen, in der Mitte aufgebrochenen Leichenwagen mit Teer und Federn und stellte ihn in einem großen Käfig aus, über ihm eine dunkle Wolke aus Auspufftöpfen.
Nari Ward: Wie kann ich diesen Moment von Trauma und Krise zur Kenntnis nehmen und dann damit leben? Wir Menschen erschaffen Zeremonien für diese Gefühle. Es ging wirklich darum einen Altar für diese Form von Ängsten zu schaffen. Die Idee war auch den Tod bloßzustellen, nicht nur ihn einzusperren, sondern ihn durch den Teer und die Federn zu kriminalisieren, zu bestrafen.
Als Kurator Okwui Enwezor seine Arbeit auf der Whitney Biennale 1996 sah, begann eine Konversation zwischen den beiden Männern, die letztendlich zu der Idee der Ausstellung „Grief und Grievance: Art and Mourning in America“ führte. Leider konnte Okwui Enwezor die Realisierung dieses Projektes nicht mehr erleben, erklärt der künstlerische Leiter des Museums Massimiliano Gioni:
Massimiliano Gioni: Es ist irgendwie bitter-süß, zu sehen, dass die Ausstellung wirklich mit dieser Arbeit beginnt, die alles angestoßen hat und von der Okwui mir so viel erzählt hat. So hat alles begonnen.
Monumentale Fotografien
Auf vier Stockwerken des New Museums werden Arbeiten von 37 afroamerikanischen Künstlern aus drei Generationen gezeigt. Fotografie, Skulptur, Malerei, Komposition und Installationen: eine beindruckende Mischung aus Medien und Materialien, die in den einzelnen Räumen auf sehr sinnliche Weise zusammengestellt wurden. Zum Beispiel, wenn sich die Musik der Sängerin Alice Smith, die den Tod ihrer Mutter lamentiert, mit den großformatigen Bildern des Fotografen Dawoud Bey im nächsten Raum mischt. In „The Birmingham Project“ erinnert er an die vier Mädchen, die 1963 in Birmingham nach einem Brandanschlag in einer Kirche verbrannt sind. Sieben großformatige Doppelportraits zeigen jeweils einen schwarzen Jugendlichen und einen Erwachsenen, die direkt in die Kamera gucken. Die junge Person ist so alt, wie die Mädchen, die bei dem Anschlag verbrannt sind, die ältere Person so alt, wie die Mädchen heute sein würden. Ihr ernster Blick hat etwas Monumentales.
Massimiliano Gioni: Bei dieser Arbeit denke ich an ein Mahnmal. Das finde ich sehr interessant im Bezug auf die ganze Diskussion um Denkmäler. Da geht es nicht nur um rhetorisches Gedenken, sondern darum, die Abwesenheit von Menschen zu zeigen und den Effekt, den dieses Ereignis nicht nur auf die vier Mädchen hatte, sondern auf die gesamte schwarze Community.
Ein Gerüst voller Leben
Im größten Raum des Museums mit einer Höhe von über 14 Metern steht Rashid Johnson enorme Installation „Antoine’s Organ“, ein wuchtiges Gerüst aus schwarzen Rohren vollgestopft mit grünen Pflanzen in Keramiktöpfen zwischen Büchern, aufgerollten Teppichen und Krügen mit Shea-butter, die wunderbar duftet. Aus kleinen Lautsprechern hört man Texte aus dem schwarzen Widerstand. In der Mitte der Konstruktion steht ein Klavier, auf dem ein Pianist täglich drei Stunden live improvisiert. Kurator Okwui Enwezor nannte den Raum „The Chapel“ – die Kapelle. Er wirkt wie ein Gegenaltar zu Nari Wards „Peacemaker“ vom Anfang der Ausstellung.
Massimiliano Gioni: Okwui wusste, die Ausstellung würde sehr düster werden, fast wie eine Beerdigung. Aber er wollte einen Kontrast mit diesem Überfluss an Leben.
Beim Gang durch die Galerien spürt man deutlich die dringende Intensität der Arbeiten und die lange Geschichte der Gewalt gegen die schwarzen Community. Da bedarf es auch keinerlei Referenzen zu den Ereignissen um den Tod von Georg Floyd im letzten Jahr – für Afroamerikaner sowieso nur ein weiterer Tod in der langen Kette der Gewalt.
Link: https://www.newmuseum.org/exhibitions/view/grief-and-grievance-art-and-mourning-in-america-1