Scheitern ist keine Option

The Other Americans – John Leguizamos erstes Drama am Public Theater

von Andreas Robertz

Scheitern ist keine Option - The Other Americans - John Leguizamos erstes Drama am Public Theater
John Leguizamo in The Other Americans, photo by Joan Marcus

Der US-amerikanische Schauspieler und Entertainer John Leguizamo kämpft seit Jahren für größere Sichtbarkeit von lateinamerikanischen Schauspiel*innen in Hollywood und am Broadway. In mehr als 100 Filmen und TV Serien spielte er so ziemlich alles, was Schauspieler mit seinem ethnischen Hintergrund in der Entertainment Industrie zu spielen bekommen: Gangster, Bedienstete und Komiker, so zum Beispiel als Drogenboss in Al Pacinos “Carlito’s Way“, als Mafia Automechaniker in den ersten John Wick Filmen oder als Stimme des knuddeligen Faultiers Sid in den Ice Age Filmen. Im Theater ist er vor allem durch seine Soloshows bekannt, in denen es oft um die Erfahrung geht, als “Latino” in Amerika aufgewachsen zu sein. Seine preisgekrönte Show “Latin History for Morons” ist auf Netflix zu sehen, und auf dem amerikanischen Sender PBS läuft eine dreiteilige Miniserie über die vergessenen Geschichte Lateinamerikas. Nun hat sein erstes Drama “The Other Americans” am Public Theater Premiere.


Originalbeitrag

Den American Dream überleben

I just don’t understand how everybody gets to fail up, but us.

Ich verstehe einfach nicht, warum jeder scheitern darf, nur wir nicht”, sagt Kleinunternehmer Nelson Castro gleich am Anfang des Stückes und setzt damit den Ton für den ganzen Abend. In „The Other Americans“ übernimmt Autor John Leguizamo selbst die Rolle des Nelson. Das Leben des kolumbianischen Waschsalonbesitzers in Queens, New York gerät aus den Fugen, während seine Familie versucht, wie Leguizamo es in einem NBC Interview ausdrückt, „den amerikanischen Traum zu überleben“. 

He’s dreaming, hustling, grinding, doing everything you can you’re supposed to do to get that American dream, and yet falls short of it all the time. 

 Er träumt, er rackert sich ab, er tut alles, um den amerikanischen Traum zu verwirklichen, und doch schafft er es nie. Dabei scheint es am Anfang gut für Nelson zu laufen: Er konnte mit seiner Familie aus dem Einwandererghetto Jackson Heights ins schicke Viertel Forest Hill in ein Einfamilienhaus ziehen und in den winzigen Hinterhof sogar einen Swimmingpool bauen lassen. Die Bühne zeigt mit vielen liebevollen Details das Interieur des Hauses: eine offene Küche mit den Einbauschränken und dem neuen Herd, den obligatorischen Riesenkühlschrank, die kleine Hausbar, ein bürgerliches Wohnzimmer mit riesigen Sofas.

Die Konflikte hinter der Fassade

Das Stück spielt in den späten 90er Jahren. Aus der Anlage mit dem CD Spieler und den fetten Boxen dröhnt zu Beginn Salsa Musik, während die ganze Familie auf die Rückkehr von Sohn Rick aus dem Krankenhaus wartet. Doch hinter der Mittelklassenfassade schwelen Konflikte: Rick wurde wegen seiner Herkunft in der Schule gemobbt und misshandelt und leidet unter posttraumatischen Stresssymptomen. Ehefrau Patti vermisst ihre Freundinnen in Jackson Heights und fühlt sich im weißen Viertel Forest Hill isoliert. Nelson kann seiner Schwester Norma nicht verzeihen, dass sie ihr Geld in ihre Waschsalons in L.A. statt in seine investiert. 

 I had the whole American canon in my mind. How do you create an American classic? Was sort of my goal.

 Er habe eine Latino-Version des klassischen amerikanischen Dramas schreiben wollen, sagt John Leguizamo im Interview. Und tatsächlich erinnert vieles in “The Other Americans” an Arthur Millers “Tod eines Handlungsreisenden” und “Alle meine Söhne”. Als Rick herausbekommt, dass Nelson von dem Vater des Jungen, der ihn zusammenschlagen hat, einen Kredit angeboten bekommen hat, um das Haus zu kaufen, wenn er im Gegenzug auf eine Anzeige verzichtet, bricht die Familie auseinander. 

Scheitern ist keine Option

Das Stück handelt nicht direkt von Rassismus und Diskrimierung, sondern davon, was die Chimäre des amerikanischen Traums mit einer Einwandererfamilie macht. Am Ende begeht Sohn Rick Selbstmord und Nelson wird von seiner Familie verlassen. Sehr eindrücklich, wie Leguizamo Nelson da wie ein verletztes Tier aufheulen lässt, nur um sich im nächsten Moment mit geballten Fäusten wieder zusammenzureissen und den nächsten Deal, der sein Geschäft retten soll, einzustielen. Scheitern ist keine Option.

So wichtig wie noch nie

Kaum ein anderer Schauspieler hat so viel für die Repräsentation lateinamerikanischer Schauspieler*innen in Amerika getan wie John Leguizamo. Das ist heute besonders wichtig. Denn die Propaganda vom illegalen, mit Drogen handelnden, Frauen vergewaltigenden Ausländer aus Mexiko und allem, was südlich davon liegt, wird tagtäglich heraufbeschworen, von der amerikanischen Regierung und ihrem Chefideologen Steven Miller. Und genauso tagtäglich werden Berichte veröffentlicht, wie grausam und lebensverachtend es in den schnell eingerichteten Internierungslagern zugeht, in denen zunehmend auch US-Bürger mit der falschen Hautfarbe oder Ideologie landen. In einer Zeit, in der in Washington sehr genau darauf geachtet wird, wer ein “richtiger” Amerikaner ist, hätte man sich von einem Stück mit dem Titel “The Other Americans” allerdings etwas deutlich Politischeres erwartet.