Ein YouTube Kanal, der unter die Haut geht
By Andreas Robertz
Der US-amerikanische Werbephotograph Mark Laita hat in seinem Leben so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann: Apple, Budweiser, BMW, Mercedes – all die großen Namen gehören seit vielen Jahren zu seinem Portfolio. Doch dann begann er Portraits von Menschen zu machen, die am Rande der Gesellschaft leben, erst in seiner Heimatstadt L.A., dann im ganzen Land. Aus Photographien wurden Videointerviews, die er in seinem eigenen YouTube Kanal „Soft White Underbelly“ veröffentlicht, mit großem Erfolg. Innerhalb von nur drei Jahren abonnierten mehr als 2.1 Millionen Menschen die oft unglaublich bewegenden Portraits.
Mark: “Amanda where are you from? Where’d you grow up?”
Amanda: “Inglewood, California. But I grew up in L.A.”
Mark: “Okay. So you’re an L.A. Girl. And you grew up with both parents?””
Amanda: “Well, I had, I didn’t have a mom growing up, so it was just me and my father. “
Mark: “Where is Mom? “
Amanda: “I don’t know, on drugs somewhere.”
Amanda ist eine junge schwarze Frau. Sie lebt in Scid Row, einer heruntergekommenen Gegend in LA, die für Prostitution und Drogen bekannt ist. Sie ist obdachlos. In einem zweiten Interview wenige Wochen später ist sie dann kaum mehr wiederzuerkennen: barfuß, mit geschwollenem Auge, ausgeschlagenen Zähnen, völlig hibbelig und kaum noch in der Lage mit Mark zu reden.
Mark Laita: Sie war die schlimmste Crack Abhängige, die man sich vorstellen kann, zumindest, was ich erlebt habe. Es war klar für jeden, dass sie sterben würde. Sie lief barfuß herum und tat all diese schrecklichen Dinge, um Geld für Crack zu haben.
Es gibt insgesamt acht Interviews mit Amanda auf YouTube. Eine Sozialarbeiterin wurde auf sie aufmerksam und bot ihr mit Hilfe einer Crowdfunding Kampagne ein Reha Stipendium an. Tausende von White Soft Underbelly Fans stifteten Geld.
Mark Laita: Es war wie ein Wunder. Durch Lima, die Frau, die mich kontaktierte, weil sie jemanden besonders hart Betroffenen von meinen Interviewpartnern helfen wollte, war sie nach acht, vielleicht neun Monaten 100% clean.
Soft White Underbelly wird der empfindliche weiche Bauch eines Tieres genannt, sein verletzlichster Teil – für Mark Laita symbolisiert er all das, was in der amerikanischen Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Und das hat wenig mit Drogen oder Prostitution zu tun, wie es viele Politiker und Prediger gerne sehen.
Mark Laita: Wenn man sich all die Drogen Geschichten ansieht, die ich gemacht habe: Man kann sagen, die Drogen sind das Problem. Aber das ist so, als tue man ein Pflaster auf ein Krebsgeschwür. Das Problem liegt viel tiefer. Drogen sind ein Symptom, das von Dingen wie mentale Krankheiten ausgelöst werden kann, oder einer schlechten Erziehung oder einem zerbrochenen Elternhaus.Und wenn man dann weiter gräbt, dann stößt man vielleicht auf Armut und Rassismus.
Der heute 60 jährige war nicht immer so sozial engagiert. Seit vielen Jahren gehört er zu den gefragtesten Namen in der Werbefotografie.
Mark Laita: Ich war mein Leben lang in der Werbung tätig, auch heute noch. Aber mit der Zeit wurde alles immer glatter, polierter und perfekter. Es war nur noch schwer auszuhalten, alles war nur noch fake, nichts mehr authentisch. Ich wollte etwas anderes machen, das Gegenteil davon oder als Reaktion dazu. Hier wird nichts retuschiert, ich nehme Schönheitsfehler und Narben nicht raus, ich lasse alles, wie es ist.
In den Interviews erlebt man die unzensierten Geschichten von Mördern, Pädophilen, Abhängigen, Prostituierten und Zuhältern; wie sie ihr Leben sehen und versuchen auf ihre Weise zu überleben. Daran ändert auch nicht, ob ein Donald Trump oder Joe Biden im Weißen Haus sitzt; es fehle in der Gesellschaft vor allem an Mitgefühl, sagt Mark Laita. Und die Geschichten hinterlassen Spuren, in ihm und seinen Followern, was die vielen Kommentare zu den Videos beweisen. Die meisten mögen seinen unvoreingenommenen Stil, aber es gibt auch Hasskommentare:
Mark Laita: Ich sehe das in den Kommentaren, die Leute lieben es zu hassen, zu verdammen und zu verurteilen. Und genau das hält die Probleme am Leben.
Am Muttertag im Mai ist Amanda dann plötzlich doch gestorben. Sie war seit zehn Monaten clean.
Mark Laita: Es ist ein schwieriges Projekt. Die Leute denken, das sind doch nur ein paar Interviews. Du gibst ihnen 20 Dollar und schmeißt sie wieder raus – der Nächste bitte. Aber es ist viel komplexer und schwieriger. Wenn dann etwas passiert, wie mit Amanda – viele meiner Interviewpartner sterben gerade – dann trifft mich das richtig.
Für die Zukunft wünscht Mark Laita sich noch mehr Follower, so dass er sich finanzieren und noch unterschiedlichere Menschen vor seine Kamera bringen kann. Nur so, sagt er, können wir wirklich voneinander lernen.