Taylor Mac ist Orlando

In einer Bearbeitung von Sarah Ruhl zeigt das Signature Theater genderfluides Theater in schwierigen Zeiten

von Andreas Robertz

Taylor Mac ist Orlando
Taylor Mac, Signature Theatre Production of Sarah Ruhl’s ORLANDO, Directed by Will Davis
Photo Credit: Joan Marcus

Große Kostüme und große Gesten – der New Yorker non-binäre Performancekünstler Taylor Mac begeistert seit Jahren sein Publikum mit Shows, die tief in der Tradition des queeren Drag verwurzelt sind – also der Kunst der weiblichen Personifikation. Seine 24 Stunden Theater-Show “A 24-Decade History of Popular Music” erregte 2019 bei den Berliner Festspielenviel Aufsehen. Nun ist Taylor Mac als „Orlando“ nach dem Roman von Virginia Woolf in einer Bearbeitung der preisgekrönten Dramatikerin Sarah Ruhl in New York zu sehen. Eine perfekte Besetzung für die Geschichte eines jungen Mannes, der 300 Jahre lang auf der Suche nach Liebe durch die Geschichte irrt und eines Tages als Frau aufwacht.


Originalbeitrag

Taylor Mac ist Orlando

Taylor Mac ist OrlandoLaute Disco-Musik der 80er Jahre dröhnt einem entgegen, wenn man den Theatersaal betritt. Das passt gut, denn keine andere Musikepoche charakterisiert so sehr das positive Lebensgefühl der queeren Community. Und Orlando war immer schon eine ihrer literarischen Galionsfiguren: nicht hetero, nicht schwul, nicht lesbisch, nicht Mann, nicht Frau, sondern alles zusammen. Da passt es natürlich gut, Taylor Mac, dessen Pronomen judy sind, in dieser Rolle zu besetzen, nicht nur weil Genderfluidität judys Markenzeichen ist, sondern auch, weil kaum eine andere Künstler*in in den USA so erfolgreich das Theater benutzt, um Akzeptanz und Solidarität mit der queeren Community ins Rampenlicht zu stellen.

TL Thompson, Taylor Mac,
Photo Credit: Joan Marcus
TL Thompson, Lisa Kron, Taylor Mac, Jo Lampert,
Photo Credit: Joan Marcus

Eine literarische Gallionsfigur

Neben Taylor Mac stehen sechs andere genderfluide Schauspieler*innen auf der Bühne, die mal als Chor, mal individuelle Rollen einnehmen. Es herrscht schon leichte Partystimmung im Publikum, das das Ensemble durch 300 Jahre Geschichte führt, von der Zeit von Queen Elizabeth der Ersten bis in die 20er Jahre des 19ten Jahrhunderts: Orlando als Günstling der Königin, Orlando als Liebhaber einer russischen Prinzessin, Lady Orlando, die mit Nomaden aus Konstantinopel flieht, Lady Orlando, die zurück in London als Frau um ihren Besitz kämpfen muss, und zu guter Letzt Orlando als Liebende, die in dem ebenfalls genderfluiden Kapitän Marmaduke die Liebe ihres Lebens findet.

Irgendwie ist auch jeder und jede Orlando

Taylor Mac ist Orlando
Jo Lampert, TL Thompson, Rad Pereira; l-r bottom: Nathan Lee Graham, Taylor Mac, Janice Amaya, Lisa Kron, Signature Theatre Production of Sarah Ruhl’s ORLANDO, Directed by Will Davis
Photo Credit: Joan Marcus
 

Die Bühne ist leer, bis auf wenige Utensilien und vier bewegliche Scheinwerfer, die wie überdimensionale Trockenhauben aussehen. Das Ensemble erzählt die Geschichte schnell, leicht und herrlich ironisch, die manchmal völlig übertriebenen Kostüme scheinen schnell zusammengesucht und zitieren historische Versatzstücke. Die Sprache in dieser kompakten Bearbeitung ist oft mehr Mittel der Verführung als Kommunikation. Und mit den vielen groß inszenierten Auf- und Abtritten wird die Bühne auch schon mal zum Laufsteg. Alle spielen mit Allen, und irgendwie ist auch jeder und jede Orlando. Taylor Macs Kostüme werden im Laufe des Abends historisch präziser und vollständiger – Kleid und Perücke der viktorianischen Zeit bekommen sogar einen eigenen Applaus – und mit den Kostümen wird auch die Figur Orlando immer klarer und naturalistischer, als würde sie sich nun endlich auch selber finden.Konnte Orlando am Anfang nicht mal ein Gefühl formulieren, steht am Ende ein ganzes Gedicht, das dreihundert Jahre lang gedauert hat, bis es fertig war – ein glücklicher, euphorischer Moment.

Transgender Menschen als Spielball der Politik

Die Idee, dass Menschen durch das In-Frage-Stellen der eigenen Geschlechterrolle, der eigenen Sexualität, zu Liebe und Glück finden, ist kein intellektueller Diskurs, sondern ein existentieller. Er beginnt mit einem Gefühl, einer Erfahrung, einer Neugier. Das stimmte für Virginia Woolf und ihre langjährige Freundin Vita Sackville-West, die Roman und Figur inspiriert hat, genauso, wie für die unzähligen Menschen heute, die sich im Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht zu Hause fühlen. In den USA sind Mitglieder der Transgender Community schon lange Spielball einer politischen Schlammschlacht. Republikaner werden nicht müde, das Schreckgespenst einer transgender Ideologie heraufzubeschwören, in der Minderjährige massenhaft von geldgierigen Ärzten in Operationssäle verschleppt werden. Und die religiösen Besserwisser schreien wie schon so oft in der Geschichte von den Kanzeln, es sei menschliche Hybris, anders sein zu wollen, als Gott es bestimmt hat. Mehr als 15 Staaten mit republikanischen Mehrheiten haben in den letzten Jahren Gesetze verabschiedet, die geschlechtsangleichende Behandlung für Trans-Minderjährige verbieten, obwohl das amerikanische Gesundheitsministerium vor den fatalen Folgen für die Psyche dieser Jugendlichen gewarnt hat.

In Will Davis Inszenierung ist von dieser veränderten politischen Wetterlage nichts zu spüren – das ist bedauerlich. Er feiert die Euphorie eines Menschen, der sich gefunden hat: im richtigen Körper, im richtigen Geschlecht und in der richtigen Zeit. Und das spürt auch das Publikum.