Das Bronx Documentary Center in New York ehrt Anja Niedrighaus 10 Jahre nach ihrem Tod.
von Andreas Robertz
Am 4. April 2004 kam die deutsche Fotojournalistin Anja Niedringhaus in Afghanistan ums Leben, während sie die Präsidentschaftswahlen dokumentierte: ein Polizist schoss plötzlich auf sie und ihre Kollegin, die kanadische Journalistin Kathy Gannon, während sie auf dem Rücksitz eines Autos saßen und sich ausruhten. Das Bronx Documentary Center in New York ehrt sie nun zehn Jahre später mit einer Ausstellung ihrer Bilder aus Afghanistan und Pakistan, kuratiert durch ihre engsten Weggefährtinnen und Weggefährten. Die Ausstellung hätte dafür keinen besseren Ort finden können, denn das Zentrum hat sich für seine außergewöhnliche engagierte und Nachwuchs orientierte Arbeit in einer Community, die sonst eher übersehen wird, einen Namen gemacht.
Es sei die Musik der amerikanischen Sängerin Norah Jones gewesen, die ihn mit Anja Niedringhaus zuerst verband, erzählt Muhammed Muheisen: ihr Musikgeschmack und ihr Lachen. Es war 2003, er war gerade mal 22 Jahre alt und schrieb über den Irakkrieg in Bagdad.
Ich war sehr jung, unerfahren, und ich hatte Angst, dort zu sein. Aber du bist da, um zu zeigen, was passiert, um den Krieg mit der Welt zu teilen, denn wenn wir nicht dokumentieren, ist es so, als ob es nie passiert wäre. Das ist die Macht des Fotojournalismus. Wir dokumentieren diese Momente von gestern und heute für morgen und die kommende Generation.
Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich eine lebemslange Freundschaft. Für Muhammed war sie Mentor, Weggefährtin und Inspiration.
Anja hat sich immer um andere gekümmert, hat immer anderen Fotografen geholfen, vor allem den jungen.
Millionen von Erinnerungen
Zusammen mit Verlegerin Ami Beckmann und Anja Niedrighaus langjähriger Kollegin Kathy Gannon kuratierte er nun die Ausstellung am Bronx Documentary Center. Zu sehen sind über 40 großformatige Bilder aus ihrer Zeit in Afghanistan und Pakistan. Für Kathy Gannon, die eng mit Anja zusammenarbeitete und mit ihr im Rücksitz des Wagens saß, als auf sie geschossen wurde, ein emotionaler Moment:
Ich denke an die Ereignisse dieses Tages … an das Unerwartete und Plötzliche und wie sich das Leben im Handumdrehen ändern kann. Wir befanden uns nämlich auf einem Polizeigelände. Es war sehr sicher, so sicher wie es in dieser Umgebung möglich war. Aber wir haben uns so entspannt gefühlt. Es ist wirklich der schreckliche Preis, den man zahlt, wenn man versucht, so gut wie möglich zu erzählen, was andere ertragen müssen, besonders in einem Konflikt.
Bilder mit dem Herzen
Ein begeisterter Junge, der nach seinem Drachen springt, ein Vater, der mit seinen fünf Kinder ein Moped ausbalanciert, während er einen Passierschein abgibt, ein Mann, der seine kleine Tochter küsst, ein Mädchen, das ihre Burka vor ihr Gesicht drückt, um besser durch die Maschen sehen zu können. Immer wieder auch Menschen, die in der Katastrophe des Krieges und der Zerstörung ihren Alltag leben:
Anja hat wirklich eingefangen, wie Menschen in den schwierigsten Situationen, den Mut und die Kraft finden, ihr Leben jeden Tag zu leben.
Wenn man ihre Fotos sieht, konzentriert sie sich wirklich auf die Zivilisten. Viele von uns haben sich auf das Militär konzentriert, auf die Kämpfe und den Kerl mit der Waffe. Aber sie interessierte sich für die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung und auf Kinder, glaube ich, ganz besonders.
Komposition und Ruhe
Aber es sind nicht nur ihre Themen, die menschliche Wärme und die ungewöhnliche Intimität ihrer Aufnahmen, die ihre Bilder so faszinierend machen, sondern vor allen Dingen auch die Ruhe, die sie ausstrahlen, und die Komplexität ihrer Komposition. Zum Beispiel der Vater auf dem Moped: immer wieder wandert das Auge zu den strahlenden Augen der kleinen Tochter, die vor dem Vater auf dem Trittbrett steht und direkt in die Kamera guckt, der Vater scheint völlig entspannt mit ausgestreckter Hand mit dem Passierschein und hinter seinem Rücken drei Kinderaugenpaare, die über seine Schultern schielen. Kuratorin Ami Beckmann:
Das heißt, dass unser Auge auf den Bildern auch verweilt, auch gerne verweilt, weil da eine kompositorische Harmonie drin steckt, die das Geschehen nicht irgendwie verschönert oder verwässert oder verkitscht, aber die uns trotzdem die Möglichkeit gibt, das zu erfassen, was wir da sehen.
Es ist schwieriger geworden
Mit der Ausstellung zeigt das Bronx Documentary Center eine Meisterin des Fotojournalismus. Doch die Welt hat sich in den letzten 10 Jahren für Journalisten stark verändert, beschreibt Michael Kamber:
Während des Afghanistankrieges konnte man als Journalist neutraler sein. Ich meine, man konnte natürlich die Taliban verärgern, man konnte das US-Militär verärgern und man hörte dann von ihnen, aber keine der beiden Seiten hatte viele Anhänger. Man hatte also keine Hunderttausende von Anhängern, die man durch seine Berichterstattung mobilisieren oder verärgern konnte. Wir hatten in gewisser Weise eine Menge Freiheit. Heute hingegen wird alles als parteipolitischer Akt gesehen. Wenn man nur versucht, guten, soliden Journalismus über das zu machen, was man vor sich sieht, wird man von allen Seiten angegriffen. Das ist heute viel, viel schwieriger.