Vorsichtige Kunst am Whitney

Die 81ste Ausgabe der Whitney Biennale in New York ist bemerkenswert leise

von Andreas Robertz

Vorsichtige Kunst am Whitney - Die 81ste Ausgabe der Whitney Biennale in New York ist bemerkenswert leise, von Andreas Robertz
Installation view of Whitney Biennial 2024: Even Better than the Real Thing
(Whitney Museum of American Art,New York, March 20–August 11, 2024). Nikita Gale,
TEMPO RUBATO (STOLEN TIME), 2023–24.
Photograph by Audrey Wang

Die Biennale am Whitney Museum of American Art in New York ist eine der wichtigsten Gruppenausstellungen zeitgenössischer amerikanischer Kunst. Alle zwei Jahre kann man hier sehen, was amerikanische Künstler*innen umtreibt, welche Tendenzen und Themen wichtig sind, welche neue Namen man sich merken muss. Während die letzten beiden Ausgaben von Skandalen und Demonstrationen bestimmt waren – 2019 führte sogar zum Abdanken eines der Vorstandsmitglieder, weil er Brandgranaten herstellt, die an der mexikanischen Grenze und an der Grenzen zu Gaza eingesetzt wurden –  durfte man sehr gespannt sein, was dieses Jahr thematisiert wird. Und wichtige, aber schwierige Themen gibt es in den USA ja zu Hauf: vom Krieg in Gaza und der Ukraine, dem Kampf um die Rechte indigener Nationen innerhalb der USA, der wachsenden Gewalt gegenüber der LGBTQ+ Community, dem Klimawandel, der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz, dem Ende des Rechts auf Abtreibung bis hin zu einer Präsidentschaftswahl zweier alter Männer, die für viele Amerikaner rücksichtslosen Imperialismus und autoritären Nationalismus repräsentieren. Doch die Kuratoren der Biennale scheinen sich für ein sehr viel leiseres Konzept entschieden zu haben.


Originalbeitrag

Ein abgedunkelter Raum mit einem edlen blauen Teppich, ein hölzerner Flügel in weichem Scheinwerferlicht, schwarze Sitzbänke an schwarzen Wänden. In regelmäßigen Abständen dimmt das Licht, als käme jetzt der Künstler. Doch in Nikita Gales Installation „Tempo Rubato“ tritt niemand auf. Die Hämmer ihres Flügels berühren keine Saiten, nur das rhythmische Klacken des elektrischen Klaviers ist zu hören. Trotzdem verweilt man wie hypnotisiert von dem Nicht-Geschehen.

Für die erste Biennale nach der Pandemie sind die beiden Gastkuratorinnen Chrissy Isles und Meg Onli viel herumgereist und haben Künstler*innen zugehört, was sie am meisten beschäftigt. Chrissy Iles:

Uns ist aufgefallen, wie sehr Künstler über eine Welt nachdenken, die am Abgrund steht. Die künstliche Intelligenz und die neuen Entwicklungen in der Technologie verschieben unser Verständnis davon, was das Reale ist.

71 Künstler*innen haben sie für ihre Biennale mit dem Titel: „Better than the Real Thing“ eingeladen, möglichste divers – es gibt eine große Anzahl von Arbeiten indigener, transgender und behinderter Künstler*innen – und, wie es scheint, möglichst risikofrei, sowohl was Formen als auch Inhalte angeht. Doch gerade das rebellische, subversive und provokative ist es, was für viel zeitgenössische amerikanische Kunst auszeichnet und relevant macht. Das heißt aber nicht, dass es nicht Herausragendes auf der Ausstellung zu entdecken gibt.

Zum Beispiel die wundervoll zerbrechlichen Strukturen aus Acrylfarbe der 80igjährigen Malerin Suzanne Jackson. Wie zerfetze Segel aus Farbe wehen sie von der Decke des Raumes oder hängen an den Wänden. Eine besonders schöne dieser gemalten Skulpturen  sieht wie ein unendlich langes, farbiges Abendkleid mit einem schwarzen Kopf an der Spitze aus – eine Arbeit mit ernstem Hintergrund.

Das Außergewöhnliche an diesen Werken ist, dass alles nur Acrylfarbe ist. Es gibt nichts, was diese Farbe zusammenhält. Es ist einfach nur Farbe. Aber jedes einzelne Werk hat diese Kombination aus Figuration und Abstraktion. Diese wunderschöne Arbeit hier ist zum Beispiel Mary Turner gewidmet, die gelyncht wurde, weil sie 1915 gegen den Lynchmord an ihrem Mann protestierte.

Ein weiteres Highlight ist eine faszinierende Videoinstallation der New Yorker Videokünstlerin Sharon Hayes: zwei große Fernseher bilden zusammen mit verschiedenen Bänken und Sesseln einen Kreis, aufgestapelte alte Stühlen laden zum Dazusetzen ein. In einem Dokumentarfilm befragt die Künstlerin eine Gruppe älterer queerer Menschen über ihre Sicht der aktuellen Lage in den USA, über Genderpolitik, den zunehmenden Hass auf Schwule, Lesben und Transsexuelle und die kommende Wahl. Sitzt man erst einmal, kann man sich diesen Gesichtern und dem, was sie erzählen, kaum noch entziehen: eine tief berührende Reflektion auf die Abgründe der momentanen Situation.

Die Show zeigt uns, wie wir in diesem zerbrochenen Moment zusammen sein können. Es ist eine Ausstellung, die aus einer Reihe von Beziehungen besteht und die einer der Künstler als dissonanten Chor beschreibt, in dem jeder sehr unterschiedliche Ansichten oder unterschiedliche Ansätze hat, aber die Frage bleibt, wie können wir uns in dieser Welt aufeinander beziehen ?

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Politische in dieser Ausgabe der Biennale ganz ins Private genommen wurde. Viele Arbeiten wirken seltsam  zurückgenommen und leise, fast so als hätten die Künstler*innen Angst, zu laut zu sein. Dabei haben viele Arbeiten einen gesellschaftskritischen Hintergrund, der aber ohne die ausführlichen Wandtexte nicht wahrzunehmen wäre.

Allein eine Installation des non-binären Navajo Künstlers Demian DinéYazhi’ konnte sich dem wohl entziehen. In roten Neonbuchstaben, die durch ein großes Fenster auf die Straße vor dem Museum zu sehen sind, ist zu lesen, dass wir aufhören sollten, uns die Apokalypse und den Völkermord vorzustellen und stattdessen die Befreiung – ein Text aus dem Widerstand indigener Nationen in den USA. Doch anscheinend flackern die Buchstaben ohne dass die Kuratoren davon gewusst hätten von Zeit zu Zeit und die wenigen Buchstaben, die dann noch erleuchtet bleiben, lauten: „Free Palestine“. Jetzt hat die Biennale doch noch ihren kleinen Skandal.