Wangechi Mutu im New Museum
von Andreas Robertz
Afrofuturismus ist eine Kunstrichtung, die die Erfahrung der afrikanischen Diaspora thematisiert, ihre oft schmerzvolle Geschichte aufnimmt und durch Design, Technologie und Materialien in eine utopische Welt übersetzt. Es ist die Idee, dass wenn die Vergangenheit schon durch Kolonialismus und Rassismus zerstört und entstellt wurde, sich dennoch eine Zukunft vorstellen lässt, die von einer von Afrikanern selbst bestimmten Kultur erzählt. In der Welt der Comics, Graphic Novels, der Mode- und Designwelt gibt es unzählige Beispiele dieser Kunstform. In der Literatur wird sie vor allem mit der preisgekrönten US-amerikanischen Science Fiction Autorin Octavia Butler in Verbindung gebracht, in der Popmusik mit Musikern wie Beyoncé und Jay-Z., im Kino mit Filmen wie Black Panther.
Viele schwarze zeitgenössische Künstler*innen beziehen sich in ihrer Arbeit auf afrofuturistische Motive. So auch sehr erfolgreich die in Kenia aufgewachsene Künstlerin Wangechi Mutu, die jahrelang in New York gelebt hat. Das New Museum dort widmet ihr nun eine umfangreiche Solo Ausstellung: Wangechi Mutu; Intertwined.
Zwei Frauen stehen ineinander verhakt und schauen schüchtern, fast verträumt auf den Betrachter. Der Hintergrund ist hell, von oben hängen ein paar Lianen ins Bild. Ihre Köpfe sind Hyänenköpfe mit weitaufgestellten Ohren.
Das Hybride, das Fantastische, der weibliche Körper
Wangechi Mutus Bild „Intertwined“ – verflochten – von 2003 gibt der Ausstellung am New Museum ihren Namen. Viele der Themen, mit denen sich die heute fünfzigjährige Künstlerin beschäftigt, sind in diesem frühen Bild bereits angelegt: das Hybride, das Fremdartige, das Fantastische, die Symbiose von Menschen und Tieren, die Idee, dass alles miteinander verbunden ist und immer wieder ganz zentral: der weibliche Körper. Viele ihrer Bilder sind selber eine Vermischung: aus Papier, gefundenen Materialien und Farbe. So entstehen zum Beispiel aus winzigen Schnipseln von pornografischen Bildern Frauenfiguren in verträumten Landschaften in Kirschblütenrosa und Elfenbeinweiß. Manchmal haben sie Krähenfüße oder einen Eidechsenschwanz. Für Kuratorin Vivian Crockett geht mit dieser Ausstellung ein lang gehegter Traum in Erfüllung:
Was für mich und für uns alle, während wir an der Ausstellung gearbeitet haben, wirklich auffällig war, ist, dass ihr Werk eine Art vereinheitlichende Logik hat, in dem Sinne, dass sie immer in der Lage ist, wirklich unterschiedliche Ideen, unterschiedliche Materialien, unterschiedlichen kulturellen Kontext zu einem wirklich zusammenhängenden und fantasievollen neuen Ganzen zu vereinen. Das erweitert wirklich unsere Sicht auf verschiedene Kategorien, in denen wir in vielerlei Hinsicht durch Gesellschaft und Kultur gefangen sind.
Ein besonders schönes Beispiel dafür ist ihr Dyptichon „Yo Mama“. Zwei großformatige Bilder mit Planeten in einem rosa Universum, die wie flauschige Viren unter dem Mikroskop aussehen. Eine Schlange verbindet beide Bilder. Im Zweiten dann eine Frauenfigur, deren hochhackige Schuhe den abgetrennten Kopf der Schlange durchbohren. Die Schlange ist ein Motiv, das immer wieder in ihrer Arbeit auftaucht. So auch die Frau aus dem Meer.
Sie zieht Parallelen über verschiedene kulturelle Realitäten hinweg, um zum Beispiel darüber zu sprechen, was eine Meerjungfrau ist, dieses Fabelwesen, das tatsächlich in verschiedenen Kulturen auf der ganzen Welt präsent ist, auf dem afrikanischen Kontinent und in Europa und Amerika. Sie denkt über die Wirkung dieser Mythologien und über unsere Interkonnektivität nach.
Von Afrofuturismus und Posthumanismus
Die enorme Kraft, die in ihren Bildern steckt, findet einen noch stärkeren Ausdruck in ihren Skulpturen. Zum Beispiel in einer Reihe von riesigen geflochtenen Körben aus Bronze, die das Motiv des Verflochten-Seins in einen weiteren kulturellen Kontext stellt. In einem Korb schläft eine zusammengerollte Schlange, ein anderer ist voller Haarbüschel, ein dritter mit einem ebenfalls schlafenden hybriden Wesen, dessen Schwanz aus dem Korb hängt. Dieser Korb ist mit Wasser gefüllt und nur der Kopf des Wesens ragt heraus. Es hat einen lang gezogenen Schädel, Fischaugen und eine reptilienartige Haut.
In einer anderen Skulptur sitzt eine schwarze alien-artige Frau auf einem riesigen schwarzen Krokodil. Die Haut beider Wesen scheint aus Wurzeln zu bestehen, die sie miteinander verbinden. Kuratorin Vivian Crockett:
„Crocdylus“ ist ein unglaubliches Beispiel, wenn ich an die Idee des Afrofuturismus denke, weil es dieser Hybrid ist, dieses fremdartige Wesen, das wir nicht genau definieren können. Und es verschmilzt mit dem Krokodil. Und das Krokodil ist ein prähistorisches Tier, aber irgendwie hat sie es in ein Symbol einer Zukunft verwandelt.
Wangechi Mutus Arbeit ist auch voller Sozialkritik. Zum Beispiel, wenn sie als animierte Figur in einem Video einen Korb auf ihrem Kopf durch eine leere Landschaft trägt. Der Korb füllt sich mehr und mehr mit Zivilisationsmüll und am Ende verschmilzt sie mit ihm zu einer Amöbe und stürzt eine Klippe hinunter; oder in einem anderen Video, in dem sie 25 Minuten lang einen mit Schlamm bedeckten Boden zu reinigen versucht.
Mit „Wangechi Mutu: Intertwined“ ist dem New Museum nach Faith Ringgold und Theaster Gates nun zum dritten Mal in Folge eine beindruckende Solo Ausstellung gelungen, die Arbeiten einer wichtigen schwarzen Künstlerin oder eines Künstlers im Kontext ihres Gesamtwerks zeigen. Und das in einer Zeit, in der Retrospektiven lange nur weißen Künstler*innen vorbehalten waren. Ein Besuch im New Museum sollte mittlerweile zum Standard einer jeden New York Reise gehören.