Das MoMA zeigt Arbeiten von Ming Smith, einer Pionierin der schwarzen Fotografie.
von Andreas Robertz
Als die US amerikanische Fotografin Ming Smith 1975 ein Angebot vom Museum of Modern Art in New York bekam, mehrere ihrer Arbeiten für den gerade erst eröffneten Kunstbereich Fotografie zu akquirieren, wollte sie eigentlich ablehnen. Der Kaufpreis war ihr zu gering, er deckte nicht einmal ihre Materialkosten. Doch dann sagte sie auf Anraten eines Freundes doch zu und wurde die erste schwarze Frau, deren Fotoarbeiten in die Sammlung des MoMAs aufgenommen wurden. Ihre ungewöhnlich stimmungsvollen Portraits von Nina Simone, Charles Baldwin, Tina Turner und Grace Jones wurden weltberühmt. Trotzdem sollte es fast 40 Jahre dauern, bis ihre Bilder wieder in großen Ausstellungen auftauchten. Das MoMA erinnert nun in einer Einzelausstellung an sie und zeigt Bilder, die bisher selten zu sehen waren.
The Invisible Man
Eine verlassene, verschneite Straße in der Nacht. Im Hintergrund beleuchten Straßenlampen die nasskalte Szenerie. Eine fast schwarze Hauswand auf der linken Seite teilt das Bild in eine dunkle und helle Hälfte, auf deren Grenze eine Gestalt auf den Betrachter zuläuft; seine schwarze Jacke verschwindet im Dunkel der Hauswand, seine Jeans ist auf dem verschneiten Gehweg kaum zu sehen. Die Lampen im Hintergrund werfen seinen Schatten nach vorne, während eine nicht sichtbare Lampe von vorne einen zweiten Schatten nach hinten wirft. Winzige bunte Farbtupfer umgeben die Gestalt, geben der trostlosen Atmosphäre etwas Warmes und Magisches.
Das Bild gehört zu einer Serie von Aufnahmen, die von Ralph Ellisons grandiosen Roman The invisible Man von 1952 inspiriert sind, eine Geschichte über die Lebenserfahrung eines jungen Afro-Amerikaners im Nachkriegsamerika der 40ger Jahre. Das Gefühl des Protagonisten zwar anwesend, doch für die weiße Gesellschaft gleichzeitig unsichtbar zu sein, wird hier sehr atmosphärisch verarbeitet. Für Kuratorin Oluremi Onabanjo sagt das Bild viel über Ming Smiths Zugang zur Fotografie aus.
Es zeigt uns viel von dem, was sie bevorzugt und priorisiert, nämlich Emotionen; sie zeigt eine Figur, die eine Straße hinuntergeht, wie an der Schwelle von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Licht und Schatten. Für Ming ist es sehr wichtig, die Erfahrungen anderer zu zeigen und nicht nur einen Moment fotografisch festzuhalten oder zu dokumentieren.
Frei von weissen Klischees
Als Ming Smith 1973 nach dem Studium nach New York kam, wurde sie als erste Frau Teil des Kamoinge Workshops, eines berühmten Kollektivs schwarzer Fotografen, deren Ziel es war, das Leben der schwarzen Community in Amerika, aber vor allem in Harlem, frei von weißen Klischees zu zeigen. Dabei begrenzte Ming Smith sich nicht auf das Fotografieren von Straßenszenen oder Personen, sondern begann mit abstrahierenden Effekten wie Langzeit- und Doppelbelichtungen zu experimentieren, um den emotionalen Gehalt ihrer Motive einzufangen.
Mit dem Motiv atmen
Ich glaube diese Offenheit ist wirklich charakteristisch für Mings Bilder. Sie fragt nicht danach, was eine Fotografie bedeuten soll, sondern sie ist vielmehr daran interessiert, dass das Bild dem Betrachter hilft, etwas zu empfinden. Und der Schlüssel dazu sind die langen Belichtungen. Sie redet oft davon, mit dem Bild zu atmen. Sie vergleicht das mit einem Bläser in einem Jazzensemble, der seinen Atem lange halten können muss, um einen langen Ton zu spielen.
In vielen ihrer Bilder ist das Spiel zwischen scharf und unscharf, Bewegung und Stillstand ein wichtiges Gestaltungsmotiv.Seien es die unscharfen Schatten von Jazzmusikern auf der Wand eines Probenraumes oder in Portraits wie dem von Saxofonist Pharao Sanders. Vor einem pechschwarzen Hintergrund steht er leicht gebeugt im Halbprofil. Das Bild ist stark überbelichtet und deswegen leuchtet seine weiße Mütze vor dem dunklen Hintergrund so hell, als wäre sie die Lichtquelle des Bildes. Die Instrumente sind unscharf und scheinen dadurch in Bewegung zu sein, während der Musiker selber ganz still auf seinen Einsatz wartet.
Smith ist wirklich wichtig für die Geschichte dieser Institution. Und ich finde, ihre Arbeit und die der Generation von Künstlern, die nach ihr gekommen sind, sind es wert, gefeiert und beachtet zu werden.
Die Erste von Vielen
„Project Ming Smith“ ist die erste Ausstellung von Kuratorin Oluremi Onabanjo am MoMA. Es ist ihr wichtig, die Arbeit vieler schwarzer Fotografinnen und Fotografen zu zeigen, die zwar in der Sammlung des MoMA zu finden, deren Arbeiten aber selten zu sehen sind, vor allem die Generation von Ming Smith, deren Schaffen die Art und Weise, wie wir die Menschen der schwarzen Community sehen, maßgeblich geprägt haben.
Ming Smith ist entscheidend für die Geschichte der Fotografie besonders hier in New York City. Da fühlt es sich wirklich gut an zu wissen, dass sich das MoMA und das Studio Museum in Harlem zusammengetan haben, um ihr eine Art Heimkehr in die Stadt zu ermöglichen. Ich sehe das als Einladung zu sagen, dass dies erst der Anfang ist.
Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Mai am MoMA in New York zu sehen.