Broadway nach Corona-Lockdown

Neustart geprägt von schwarzen Autorinnen und Schauspielern

von Barbara Behrendt

Zutritt nur mit Maske und Impfzertifikat: Das August Wilson Theatre hat die Broadway-Saison eröffnet. (Deutschlandradio / Barbara Behrendt)

Auch der Broadway ist zurück. In New York ist diese Woche die erste Theateraufführung nach 17 Monaten Kultur-Lockdown über die Bühne gegangen – und zwar mit einer Neufassung des Stücks „Pass over“ von Antoinette Chinonye Nwandu. Es ist der Beginn einer Broadway-Saison, die von so vielen schwarzen Künstlerinnen und Künstlern geprägt sein wird wie nie zuvor. Den Start machte passenderweise das August Wilson Theater – benannt nach dem schwarzen amerikanischen Dramatiker, in Deutschland leider fast ein Unbekannter. New York feiert.


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Die 52. Straße vor dem August Wilson Theater hat sich in eine große Party verwandelt. Hunderte von Menschen feiern die Wiedereröffnung des Broadways, DJs spielen – und der Star des Abends spricht vom Balkon zu seinem johlenden Publikum:

Antoinette Nwandu: „We have been working and now we are here together to tell the Story of Black Joy.“

Wir haben gearbeitet, sagt die Autorin Antoinette Chinonye Nwandu in einem orangefarbenen Kleid, in dem sie herrlich leuchtet wie ein Goldfisch, und jetzt sind wir gemeinsam hier, um die Geschichte von der Schwarzen Freude zu erzählen.

Mit ihrem Stück „Pass Over“ ist der Broadway wiedererwacht – für die New Yorker gleich zwei Gründe zu feiern. Zum Einen ist da natürlich die Erleichterung, nach einer extrem traumatischen Corona-Krise mit über 53 000 Toten ins Kulturleben zurückzukehren.

„I can’t wait!“

„I can’t wait!“, sagt Adrian noch vor der Vorstellung. Und da er geimpft sei, fühle er sich sicher. Nur wenige Tage vor der ersten Show hatte die Stadt Maske und Impfzertifikat zur Bedingung für den Broadway gemacht. Bei Liz, über 60, sind es sogar zwei Masken, die sie übereinander zieht. Wahrscheinlich, sagt sie, hätte sie auch ohne Impfpflicht den Besuch gewagt, so sehr sehne sie sich nach Theater:

Liz: „I would have been very torn. I’d like to think I wouldn’t have come back. But I am afraid I might have anyway. I am desperate for theatre and dying to see this show.“

Ganz ausverkauft sind die Shows nicht – vielen Menschen scheint der Theaterbesuch noch nicht geheuer. Kein Wunder, in New York werden derzeit täglich mehr als 1300 neue Corona-Fälle bekannt.

Pass-Over eröffnet den Broadway

Diejenigen, die gekommen sind, feiern aber nicht nur das Ende des Kultur-Lockdowns, sondern vor allem das Stück und seine Schauspieler. Mit „Pass Over“ eröffnet das Drama einer schwarzen Autorin mit einem schwarzen Cast den Broadway, das sich dezidiert mit strukturellem Rassismus, Polizeigewalt, Segregation auseinandersetzt. Nicht in Form eines fernsehrealistischen Wohnzimmerstücks, wie das die deutsche, vorurteilsbelastete Kritikerin erwartet hatte – sondern als eine Art Gangster-Beckett: Zwei schwarze, sozial abgehängte Jungs warten unter einer Straßenlaterne vergeblich darauf, dass sich die Welt verändert, die Polizisten sie nicht mehr jagen – damit sie ihr Viertel verlassen und ins Gelobte Land ziehen können, wo Kaviar und Champagner serviert werden.

Eine Art Gangster-Beckett

Kitch und Moses sind ein Paar wie Estragon und Wladimir in „Warten auf Godot“. Der weiße Mister Master, der aus einem Picknickkorb gönnerhaft Delikatessen verteilt, erinnert an Herrn Pozzo. Die Bedrohung durch den Police-Officer, der mit Pistole und Schlagstock ums Eck biegt, ist dann allerdings real. Und mit der Frage des weißen Muttersöhnchens, weshalb Schwarze das N-Wort benutzen dürfen, er aber nicht, kommt noch eines der virulenten Debattenthemen auf.

Das Stück ist kein Meisterwerk – aber wie Nwandu Sprache als identitätsprägendes Merkmal einführt, wie sie Amerikas Rassismus in einer tragikomischen Parabel, einem skurrilen Märchens verhandelt, und wie die Spieler Jon Michael Hill und Namir Smallwood daraus eine liebevolle Comedy entstehen lassen, das ist mitunter bewegend.

Ein historischer Moment

Auch deshalb hatte der junge, schwarze Schauspieler Al, der im Publikum saß, das Gefühl, einem historischen Moment beizuwohnen:

Al: „For me as a black male in the United States it certainly resonates with what has been going on forever but certainly for the last year and a half with the Black Lives Matter Movement. It’s a historical moment. I am really excited. It means so much that there are black voices on Broadway.“

Bis zur Premiere kann sich allerdings noch einiges ändern – denn die ersten Wochen am Broadway läuft eine Inszenierung lediglich als „Preview“. Überhaupt gehört zu den Seltsamkeiten des amerikanischen Theaters, welche Wege eine Produktion nimmt. „Pass Over“ ist 2017 in Chicago uraufgeführt worden. In der damaligen Fassung wird Moses erschossen – ein hartes, aufrüttelndes Drama, das vom Filmregisseur Spike Lee gefilmt wurde. Dann wanderte es ans Lincoln Center in New York. Für den Broadway hat die Autorin nun ein empowerndes, softes, aber auch skurriles Ende entworfen: Schwarze und Weiße entschwinden gemeinsam nackt im Paradies.

Der Weisheit letzter Schluss ist das nicht. Doch in der neuen Saison werden am Broadway noch sechs weitere Stücke von schwarzen Autorinnen und Autoren zur Premiere kommen – eine Sensation.

Eine amerikanische Ewigkeit Applaus

Eine kleine Sensation ist dann auch der Schlussapplaus – für amerikanische Verhältnisse. Erstaunen in den Sozialen Medien, dass die Spieler ein zweites Mal auf die Bühne kommen müssen: mehr als zwei Minuten Applaus! Für die deutsche Zuschauerin ein Witz – für die Amerikaner eine halbe Ewigkeit. So groß war also die Begeisterung.

Barbara Behrendt lebt in Berlin und arbeitet als Theaterkritikerin und Kulturjournalistin. Das Arthur F. Burns Fellowship der Internationalen Journalisten Programme (IJP) hat sie im Sommer 2021 nach New York City gebracht, wo sie nun zwei Monate lang als Kulturkorrespondentin arbeitet. Herzlich Willkommen in New York.