Das New Museum in New York zeigt erste vollständige Retrospektive: der visionaeren Kuenstlerin: „Faith Ringgold: American People“
Als das MoMA in New York 2019 nach längerem Umbau wiedereröffnet wurde, versprachen die Kuratoren, altgewohnte Sehgewohnheiten aufzubrechen und Werke unterschiedlicher Künstler in neuem Kontext zu zeigen. Wo früher Picasso neben Picasso und Matisse hing, war nun sein Bild „Les demoiselles d’Avignon” neben einer großformatigen Arbeit der amerikanischen schwarzen Malerin Faith Ringgold zu sehen. Ihr Werk mit dem Titel „American People #20: Die“ zeigt auf dem Boden liegende, verwundete weiße und schwarze Männer, fliehende Frauen mit Blut verschmierten Gesichtern, ein Revolver irgendwo. Wurde hier eine Künstlerin endlich gewürdigt, die ihr Leben lang dafür gekämpft hat, das schwarze Künstlerinnen denselben Zugang zu Museen bekommen, wie ihre männlichen, meist weißen Kollegen? Seit dieser Neuhängung bekommt Faith Ringgolds Arbeit in der Kunstwelt eine neue Aufmerksamkeit. In den internationalen Fachmagazinen kann man nun lesen, sie sei eine wichtige Vertreterin ihrer Generation, dabei gehört die heute 91-Jährige seit Jahrzehnten zu einer der bekanntesten schwarzen Künstlerinnen in den USA. Das New Museum widmet ihr nun 25 Jahre nach ihrer letzten großen Solo Ausstellung in New York eine eigene Retrospektive: „Faith Ringgold: American People“.
I will always remember when the stars fell down around me and lifted me up above the George Washington Bridge
I will always remember when the stars fell down around me and lifted me up above the George Washington Bridge
„Ich werde mich immer daran erinnern, wie die Sterne um mich herum fielen und mich über die George Washington Bridge hoben“ So beginnt eines der schönsten Kinderbuchklassiker der USA: Faith Ringgolds „Tar Beach“ – Teerstrand -. Gemeint ist ein geteertes Dach im Harlem der 1930er Jahre, auf dem Familie und Nachbarn der kleinen Cassie im Sommer die Abende verbringen. In dem 1991 veröffentlichten Buch lernt Cassie mit Hilfe der Sterne zu fliegen. Man brauche nur ein Ziel, das man ansonsten nicht erreichen kann, um Fliegen zu können, verrät sie dem Leser zum Schluss.
Fliegen lernen
Das Buch spiegelt Faith Ringgolds eigene Lebensgeschichte wieder, denn sie musste ihr Leben lang „Fliegen lernen“, um als schwarze Künstlerin in der von weißen Männern dominierten Kunstwelt zu überleben. Auch deswegen entschied sie sich, nicht nur auf großen sperrigen Leinwänden zu malen, sondern vor allem auf „Quilts“, Steppdecken, die aus Reststücken zusammengenäht wurden. Ringgold nahm diese Tradition auf und bemalte sie, erst mit Öl, dann später mit Acryl. Für Kurator Massimiliano Gioni ein pragmatischer und zugleich politischer Schritt:
Massimiliano Gioni: Sie wollte nicht auf ihren Mann warten, bis er nach Hause kommt, um die schweren Bilder zu bewegen. Sie konnte sie auch nicht in einem Taxi transportieren. Die Stoffe lösten dieses Problem für sie. Es war praktisch, persönlich und politisch, weil der häusliche Raum als Raum der Frau definiert wird. Mit dieser Idee fand sie Unabhängigkeit in ihrer Kunst.
Wie in einer Graphic Novel
Später fügte Ringgold Texte in ihre Quilts ein, die wie Seiten einer überdimensionale Graphic Novel aussehen. Damit schaffte sie den Durchbruch als Künstlerin. Ein gutes Beispiel dafür ist ihre Reihe „French Collection“, zwölf großformatigen Quilts, die in Bild und Wort die fiktive Geschichte einer jungen schwarzen Mutter erzählen. Sie reist mit ihrer Tochter ins Paris der 20er Jahre und konfrontiert dort die weiße männliche Kunstwelt mit ihrer Ignoranz und ihrer kolonialen Begeisterung für das geheimnisvolle Afrika: als Modell für Picasso oder mit ihrer ganzen Familie zu Gast bei Gertrude Stein.
Massimiliano Gioni: Das ist das erste Mal seit 25 Jahren, dass die „French Collection“ wieder vollständig zu sehen ist. Glücklicherweise befindet sich Amerika gerade in einer Phase des kritischen Hinterfragens und des In-sich Gehens. Sie erfährt nun die Anerkennung, die sie verdient. Aber sie wirkt hier schon so lange.
Politik und Kunst
Politik und Kunst sind in Ringgolds Arbeiten nicht zu trennen. Ob sie mit ihren Bildern den Rassismus der weißen Bevölkerung während der Bürgerrechtsbewegung bloßstellt, mit ihren abstrakten Graphiken die Black Panther Bewegung unterstützt oder mit Performances als Feministin gegen die männliche Vorherrschaft in den Museen demonstriert.
Eines ihrer bekanntesten Bilder heißt „The Flag is Bleeding“ von 1967. Hinter den roten Balken der amerikanischen Flagge, aus denen Blut tropft, stehen ein schwarzer und ein weißer Mann; zwischen ihnen hat sich eine weiße Frau eingehakt.
Massimiliano Gioni: Als die Türen sich endlich zu Öffnen begannen, erkannte sie, dass sie das nur für schwarze Männer taten. Sie sagte, ich habe protestiert und dann lassen nur die Männer rein. In dem Moment habe sie sich bewusst dafür entschieden, Feministin zu werden, weil ihr niemand helfen werde und sie als schwarze Frau doppelt diskriminiert wurde.
In Fotografien, Briefen und Pamphleten zeigt die Ausstellung, wie sie in den 70er Jahren wochenlang einen Protestzug gegen den Ausschluss von Künstlerinnen aus Ausstellungen im Whitney Museum und MoMA anführte. Da sei es fast ironisch, meint Kurator Massimiliano Gioni, dass das MoMA zwar Ringgolds Bild nun so prominent ausgestellt, aber noch immer keine Retrospektive ihrer Arbeit organisiert habe.
Massimiliano Gioni: Dinge sind in diesem Land so falsch gelaufen und wir sind alle so lange schon mitschuldig. Das kann man nicht ohne Peinlichkeiten wieder gut machen, Das liegt in der Sache. Aber es braucht mehr als ein Bild in einem Raum, um es richtig zu stellen. Ich bin sehr stolz, dass sie hier ist. Aber ich bin auch ein bisschen traurig, dass sie immer noch hier ist, denn sie könnte längst in all diesen großen Museen sein.
„Faith Ringgold: American People“ ist eine bemerkenswerte Ausstellung über eine Frau, die nie aufgehört hat, für ihr Recht zu kämpfen, als schwarze Künstlerin in Amerika wahrgenommen zu werden. Sie hat wichtige Fragen der aktuellen Kunstdebatte visionär vorweggenommen und damit Generationen von Künstler*innen den Weg bereitet: absolut sehenswert.