Fat Ham von James Ijames gewinnt Pulitzer Preis für Drama 2022 und wird nun am Public Theater zum ersten Mal vor live Publikum gezeigt.
von Andreas Robertz
Der US-amerikanische schwarze Dramatiker James Ijames (Eims) gilt als einer der wichtigen neuen Autoren des schwarzen Theaters in den USA. In seinen Stücken beschäftigt er sich mit der Geschichte der schwarzen Community, mit Feminismus und Homosexualität. Trotz der ernsten Themen sind seine Stück voller Humor. Für seine erste ausgesprochene Tragikomödie hat er sich Shakespeares Hamlet ausgesucht und sie in die heutigen Südstaaten transferiert, der Titel: Fat Ham. Wegen der Pandemie fiel die Uraufführung 2020 aus und wurde stattdessen als Film realisiert. Direkt vor der echten Uraufführung am Public Theater in New York gewann der Autor nun für Fat Ham den Pulitzerpreis für Drama, eine ungewöhnliche Entscheidung für einen bisher nicht wirklich aufgeführten Text.
Wenn du jung, schwarz, schwul und vollschlank bist, Juicy heißt und in den amerikanischen Südstaaten lebst, dann kann man sich vorstellen, dass die Welt nicht auf deiner Seite ist. Wenn dann noch dein toter Vater mit einer karierten Tischdecke über dem Kopf auf der Hochzeitsparty deiner Mutter auftaucht und dir erzählt, dein mieser Onkel, ihr frischgebackener neuer Ehemann, habe ihn, den Vater, im Gefängnis ermorden lassen, um an Haus, Hof, Frau und College Fund zu kommen, dann kann das schon eine Menge Selbstzweifel auslösen. In der von Shakespeares Hamlet inspirierten Tragikomödie Fat Ham hat Dramatiker James Ijames den dänischen Hof gegen den Garten des verstorbenen Barbecue-Restaurant-Besitzers Pops getauscht, Königin Gertrude mit Juicys temperamentvoller Mutter Tedra und König Claudius mit Grillmaster Onkel Rev, der gerne Schweine ausnimmt undweiche Jungs wie Juicy nicht ausstehen kann. Aus Shakespeares Polonius wird Tedras fromme Freundin Rabbie mit ihren Kindern Opal und Larry, der auf Urlaub von der Flotte ist. Und da ist noch Juicys Freund Horatio alias Tio, der den ganzen Tag high ist, gerne Pornos schaut und in seinen Therapiestunden das Generationentrauma der schwarzen Community abarbeitet.
Mit Ironie und Sarkasmus statt roher Gewalt
Mit diesem illustren Ensemble erzählt Fat Ham nicht nur die altbekannte Geschichte von Loyalität und Rache, sondern auch von toxischer Männlichkeit und der Sehnsucht nach einer wahrhaftigeren, weicheren Alternative zu ihr. Von dem düsteren, geplagten Hamlet ist in Fat Ham allerdings nicht viel übrig geblieben. Juicy hat wie viele schwule junge Männer gelernt, seine Schlachten statt mit körperlicher Gewalt mit Ironie und beißendem Sarkasmus zu gewinnen. So auch, wenn Onkel Rev ihn auffordert, etwas anderes als Schwarz zum Fest zu tragen und er mit einem schwarzen T-Shirt auftaucht, auf dem in leuchtend rosa Buchstaben „Mamma’s Boy“ geschrieben steht. Oder er seinem toten Vater erklärt, er brauche keine Tischdecke über dem Kopf zu ziehen, damit er ihm glaube, er sei ein Geist.
Ein Hamlet zum Verlieben
Marcel Spears, den viele aus der Sitcom „The Neighbourhood“ kennen mögen, spielt Juicy in einer so überzeugenden Mischung aus Selbstironie, Nachdenklichkeit und Verwundbarkeit, dass man sich richtig in seine Figur verlieben kann.
Und mit seiner imposanten Gestalt beherrscht er die Bühne, die aus einer großen Veranda, viel grünem Kunstrasen und jede Menge billigen Geburtstagsdekorationen und Weihnachtsbeleuchtungen besteht – was anderes war wohl für die übereilte Hochzeit so schnell nicht aufzutreiben.
“Was hast du ihnen erzählt?
Fat Ham ist voller urkomischer Momente mit viel kluger Dramaturgie. So ist es nicht nur ein „Running Gag“, wenn Juicys Hamlet-Monologe ins Publikum ständig mit der misstrauischen Frage „Was hast du ihnen erzählt?“ unterbrochen werden. Zum Beispiel Mutter Tedra, die daraufhin das Publikum beschimpft, sie habe dessen Vorverurteilungen satt, nur weil sie den Bruder ihres toten Mannes heirate. Das käme in der Bibel ständig vor und Juicy solle ihnen ja nicht verschweigen, was für ein brutales Arschloch sein Vater war.
Autor James Ijames versteht es, sich über die kulturellen Stereotypen seiner schwarzen Community gnadenlos lustig zu machen. Zum Beispiel, wenn Rev zum Tischgebet bittet, voller Inbrunst „Jesus“ ruft und ihm für Schwein und Barbecue Soße dankt, während der Rest des Ensembles euphorisch die Hände gen Himmel streckt und aufjauchzt – ein Hochvergnügen für das Publikum. Oder wenn der bekiffte Tio von einem 3D Videospiel erzählt, in dem ein riesiger Lebkuchenmann ihn oral befriedigt und die fromme Rabbie sich bekreuzigt und ihn beiläufig nach dem Namen des Spiels fragt.
Furioses Drag Show Finale statt Massengrab
Regisseur Saheem Ali hat gut daran getan, ein Ensemble von Schauspieler*innen zusammenzustellen, das die manchmal schwierige Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie zu meistern versteht. So ist es plötzlich herzzerreißend und tragisch, wenn Soldat Larry seiner Mutter beichtet, er sei auch schwul oder wenn Rev an einer Schweinerippe erstickt und keiner ihm wirklich helfen will. Am Ende verkündet Juicy man wolle mit der Vergangenheit der Gewalt endlich brechen und statt Massengrab gibt es dann ein furioses Drag Show Finale. Das macht auf jeden Fall in Fat Ham mehr Sinn, als sich abzuschlachten. Es wäre nicht verwunderlich, wenn das Stück am Broadway landen würde. Es wurde am Public Theater bereits jetzt schon zweimal verlängert.