Wie ein New Yorker Cellist seine Erkrankung verarbeitet
von Andreas Robertz (English version here)

Eine Leichtathletin, die keine 50 Meter mehr laufen kann, eine LKW-Fahrerin, der nicht mehr Autofahren kann, ein Musiker, der nicht mehr üben kann: Lang anhaltende Effekte einer COVID-19 Infektion – kurz Long COVID oder Post-COVID – können ein ganzes Leben nachhaltig verändern. Neben physischen sind es vor allem kognitive Probleme, die den Patienten in eine gesundheitliche, existentielle und oft auch seelische Krise werfen. Nach einer Forschungsstudie der City University New York leiden knapp 19 Millionen Menschen in den USA mehr als sechs Monaten nach ihrer Ansteckung unter COVID Symptomen und ca. 25% davon – etwas über 4.5 Millionen Menschen – berichten von signifikanten Einschränkungen in ihrem Leben. Langsam wird in den USA Long COVID als eine chronische Krankheit ernst genommen.
Der US-amerikanische Meistercellist Joshua Ronan ist einer von ihnen. Trotzdem, sagt er, habe seine Erfahrung mit Long COVID aus ihm einen besseren Musiker gemacht.
Langsam wird es dunkel auf dem Greenwood Cemetery in Brooklyn, einer der größten und schönsten Friedhöfe der Stadt. Hier sind vor einer Bühne etwa 100 Stühle aufgestellt, aber die meisten haben sich auf Decken unter die alten Bäume gesetzt.
Das Eventlabel “Death of Classics” organisiert klassische Konzerte an ungewöhnlichen Orten in der Stadt. Für diesen Abend ist der Starcellist Joshua Ronan und das freie Streichensemble „Contemporaneous“ eingeladen, ein selten gespieltes Werk des britischen Komponisten John Taverner mit dem Titel „The Protective Veil“ zu spielen
Das mystische Stück mit seinen lang gehaltenen Cellonoten passt gut in die abendliche Kulisse. Für Joshua Ronan sei dies ein besonderer Abend, sagt er nach dem Konzert, weil er zwei Mitglieder seiner Long COVID Gruppe an diesem Abend zum ersten Mal gesehen hat, mit denen er sich mehr als ein Jahr lang online getroffen hat. Und dann spielt und singt er als Zugabe „Halleluja“ von Leonard Cohen für sie und alle, die unter einer chronischen Krankheit leiden müssen: ein unerwarteter und berührender Moment für Viele.

Long COVID kann eine ganze Reihe von Dingen bedeuten. Ganz am Anfang war es einfach so, dass alles aufhörte. Es hat wirklich alles gestoppt. Ich konnte überhaupt nicht mehr Cello spielen, die meiste Zeit konnte ich kaum die Treppe hinaufgehen, um ins Bett zu gehen, und es war sehr schwierig, mir vorzustellen, nur den Bogen oder meinen Arm zu bewegen. Es erfordert viel Energie, Cello zu spielen. Und ich glaube nicht, dass ich das vorher zu schätzen gewusst habe.
Ich habe Joshua vor anderthalb Jahren als Teil des „Long Covid Recovery Programms“ der Mount Sinai Klinik in Manhattan kennengelernt. Er hatte gerade erst wieder angefangen zu üben. Das war drei Monate nach seiner ersten Infektion im Januar 2021.
Als ich wieder begonnen habe, Cello zu spielen, konnte ich nur fünf Minuten spielen, bevor ich buchstäblich zu zittern angefangen habe. Ich zittere jetzt andauernd und habe Dysautonomie, was die Herzfrequenz beeinflusst. Ich bin müde, wenn ich nicht müde sein sollte. Zum Beispiel denkt mein Körper, ich sei einen Marathon gelaufen, wenn ich nur aufgestanden bin und das Geschirr spüle. Das ist eine Entscheidung, die ich treffen muss, denn wenn ich das Geschirr spüle, muss ich mich danach ausruhen und kann nichts anderes machen.
Dysautonomie – eine Funktionsstörung des vegetativen Nervensystem – Zittern in den Händen, schwere Erschöpfungszustände, Herzflattern, andauernde Müdigkeit und Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren: keine gute Mischung für einen professionellen Musiker. Joshua begann mit Medikationen, Physiotherapie, kognitivem Training und viel Geduld zwei Konzerte vorzubereiten, die er unter keinen Umständen absagen wollte. Danach kam der Zusammenbruch.
Ich fiel in einen depressiven Zustand, weil ich nichts mehr zu tun hatte. In den nächsten Monaten war ohnehin alles wegen COVID abgesagt worden. Es war so anstrengend gewesen, sich auf diese Konzerte vorzubereiten, dass ich danach im Grunde körperlich, geistig und spirituell zusammengebrochen bin. Ich habe mich gefragt, ob es all die Mühe wert ist, das Cello je wieder in die Hand zu nehmen. Mir wurde klar, wie sehr ich das Cello als ein Mittel betrachtet habe, um Verbindung zu anderen Menschen herzustellen, ihnen etwas zu geben, und dabei ignoriert, was es für mich bedeutet. Das war unglaublich wichtig, weil ich in dem Moment gespürt habe, dass ich das Cello nicht aufgeben kann. Das Cello ist für mich genauso wichtig wie es für andere Menschen ist. Trotz der Schwierigkeiten durch COVID, die bis heute andauern, habe ich das Gefühl, es hat mir geholfen, mich mit Fragen auseinanderzusetzen, denen ich in der Vergangenheit eher ausgewichen bin.
Als die Konzertsäle wieder öffneten, musste Joshua mit seiner Agentur viele Dinge neu verhandeln: die Menge der Konzerte, die Anzahl der Proben, die Zeitfenster zwischen Reisetagen und Aufführungen. Er hatte Angst wegen Long COVID einen schlechten Ruf zu bekommen und Aufträge zu verlieren. Bei einem Konzert an der Princeton Universität sprach er zum ersten Mal öffentlich über seine Krankheit. Das positive Feedback war für ihn überwältigend.
In meinem Beruf geht es darum, Menschen zu beeindrucken und zu bewegen. Im Grunde ist es unsere Verwundbarkeit, die uns hilft, eine Verbindung herzustellen, aber es gibt auch eine Erwartung von Virtuosität, Bravado und Selbstvertrauen und die Leute glauben nicht unbedingt, dass diese Dinge zusammengehören. Das ist etwas, das ich versuche zu akzeptieren. Ich bin ein Mensch. Aber ich bin auch besorgt, dass die Leute mich sehen und sagen, ich bin nicht mehr der, der ich einmal war, und denken, na ja, dann kann er nicht mehr das tun, was er einmal getan hat.
Ermutigt durch das Feedback hat er ein neues musikalisches Projekt begonnen, dass er „Immunität“ genannt hat, mit Konzerten, Diskussionen und einem Studioalbum mit Musik, die ihm während dieser Zeit besonders wichtig geworden ist. Und er lernt weiterhin, durch die Programme der Klinik seine Symptome besser in den Griff zu kriegen, bis vielleicht ein Medikament gefunden werden kann. Er habe verstanden, sagt er, dass das Erlebnis von Hilflosigkeit und Verwundbarkeit zu mehr Empathie in meinem Leben geführt hat und er dadurch auch ein besserer Musiker geworden sei.
Mystik und Long Covid
Ich bin kein besonders religiöser Mensch. Ich bin in der Kirche aufgewachsen und schon vor langer Zeit ausgetreten. Der Rest meiner Familie ist sehr religiös, aber ich denke, es ist so wichtig, anzuerkennen, dass wir nicht alles wissen. Und egal, wie viel wir lernen, wir werden wahrscheinlich nie alles wissen. Man muss also vertrauen. Und das, worauf man vertraut, gibt einem hoffentlich ein Gefühl von etwas Größerem, von Sinn und von Verantwortung, das eigene Leben und das der Menschen um einen herum als etwas Wichtiges und Schönes zu behandeln. Für mich war das immer mit Musik verbunden, meine ganze Identität hing daran. Und als ich nicht mehr spielen konnte, als ich nicht mehr ‚machen“ konnte, wusste ich nicht mehr, für was ich hier bin.
Ich habe bis zu einem gewissen Grad erkannt, dass ich nicht alles perfekt machen muss, um mich mit anderen zu verbinden, um sinnvoll zu sein. Ein Leben, das Sinn hat, hat nichts mit Perfektion zu tun.