Selling Kabul am Playwrights Horizon

Nervenzerreibendes neues Drama über gebrochene Versprechen und ein Leben in ständiger Angst.

von Andreas Robertz

Selling Kabul am Playwrights Horizon
All rights Playwrights Horizon

Die Situation in Afghanistan ist seit dem Abzug der amerikanischen Truppen niederschmetternd. Täglich erreichen uns neue Berichte über die katastrophale Versorgungslage, Berichte von Mädchen und Frauen, die vom öffentlichen geschweige denn professionellen Leben ausgeschlossen werden und von Menschenjagden auf ehemalige Sicherheitskräfte und Übersetzer der westlichen Streitkräfte. Doch insbesondere die Lage der Übersetzer war immer schon gefährlich. In New York ist nun das Drama „Selling Kabul“ der New Yorker Dramatikerin Sylvia Khoury zu sehen. Ihr Stück spielt 2013, als Präsident Obama die Hälfte der Truppen abzog und die Armee sich auf ihre Stützpunkte zurückzog. Die Taliban nutzten bereits damals das Machtvakuum um sich wieder zu etablieren. Und es gab schwarze Listen. 



Eine leere Wohnung irgendwo in Kabul, im Halbdunkel hockt ein Mann auf dem Boden und versucht einen Router auszurichten, damit sein Computer Internet-Empfang hat. Ans Fenster zu gehen traut er sich nicht. Durch die Jalousien fallen wie in einem Film Noir Lichtstreifen auf den Boden. Der Mann bewegt sich durch die Wohnung wie ein Schatten, schnell und lautlos. Die breite Bühne mit ihrer niedrigen Decke verstärkt den Film-Eindruck. Plötzlich sind laute Stimmen zu hören, der Mann versteckt sich im Wandschrank – offensichtlich nicht zum ersten Mal. Eine Frau kommt rein, schließt die Tür und horcht, dann gibt sie ein Zeichen, dass die Luft rein ist.

Dario Ladani Sanchez
Production Images
by Joan Marcus

Grundregeln des Versteckens

In Sylvia Khourys Drama „Selling Kabul“ folgt alles einer auf das Minimum reduzierten Choreographie. Die Bewegungen sind kontrolliert und die Sätze kurz, als gäbe es keine Zeit für Erklärungen: Nicht ans Fenster treten, nicht laut sprechen und kein Fernsehen, wenn niemand sonst im Haus ist: Grundregeln für jeden, der sich verstecken muss.

Der Protagonist Taroon hat einst für die Amerikaner als Übersetzer gearbeitet und muss sich – seit dem Teilabzug – vor den immer stärker werdenden Taliban verstecken. Seine Frau Bibi hat im Krankenhaus einen Sohn zur Welt gebracht Taroons Schwester Afiya aber versucht alles, um ihren Bruder von einem Besuch abzuhalten, schließlich weiß er nicht, dass Taliban-Kämpfer seiner Frau nach der Geburt geschlagen und eine Treppe heruntergestoßen haben. Taroons einzige Hoffnung ist das Versprechen eines amerikanischen CIA-Freundes , ihm und seiner Familie ein Einreisevisum zu beschaffen. Doch der Kontakt ist abgebrochen, die Botschaft antwortet Taroon nicht mehr.

Erinnerungen ohne Trost

In der detailgenauen Regie von Tyne Rafaeli und ihrem Ensemble entwickelt sich das klaustrophobische Stück in Echtzeit zu einem nervenaufreibendes Kampf ums Überleben. Jede Handlung der Figuren ist dieser Spannung unterworfen. Sei es, einen Tee zu  kochen, den keiner trinken  möchte, die Klimaanlagen ständig ein- und wieder auszuschalten, um Geräusche zu übertönen oder das Teilen von Erinnerungen, die längst keinen Trost mehr bringen. Fast unerträglich wird es, wenn die misstrauische Nachbarin Leyla einfach nicht gehen will, während Taroon im Schrank auf Afiyas Mann wartet, der ihn zu seiner Familie bringen soll.

„Selling Kabul“ – das Drama von Sylvia Khoury basiert auf Interviews mit ehemaligen Übersetzern in Afghanistan. Dabei gelingt es der Autorin, einfache Menschen zu porträtieren, die im internationalen Machtpoker verraten wurden, sich nun retten müssen und deren Hoffnungen langsam zerrinnen. Am Ende erzwingen die Umstände neue Koalitionen: Taroon flieht mit seiner Nachbarin und deren Sohn aus dem Land, während seine Schwester Afiya seinen Sohn wie ihren eigenen aufnimmt.

Mattico David & Marjan Neshat
Production Images
by Joan Marcus

In einem Interview hat Sylvia Khoury von ihrem jüdischen Großvater erzählt, der für die Franzosen im Ersten Weltkrieg in Algerien kämpfen musste. Er starb schwer verletzt kurz nach dem Krieg. Im Zweiten Weltkrieg hat ihm dann das Vichy-Regime die französische Staatsangehörigkeit posthum entzogen, seine Kinder mussten fliehen. Sylvia Khoury habe das Stück für all diejenigen geschrieben, die in den Kriegen der Mächtigen benutzt und am Ende verraten und verlassen wurden.

Verraten und Verkauft

“Selling Kabul“ trifft einen Nerv in der gegenwärtigen politischen Debatte, denn längst ist klar, dass die Fehleinschätzung der amerikanischen Seite für die schnelle Machtergreifung der Taliban verantwortlich war. Das Pentagon spricht von Zehntausenden afghanischen Helfern, die noch im Land sind. Obwohl die Mehrheit der Amerikaner den Abzug aus Afghanistan richtig fanden, die Ereignisse am Flughafen von Kabul werden sie Präsident Biden deswegen noch lange nicht verzeihen.

Selling Kabul läuft bis zum 23.12.2021 am Playwrights Horizon

The War in Us: A Reflection on “Selling Kabul” (Essay)