Das Metropolitan Museum in New York widmet mit „Inspiring Walt Disney“ zum ersten Mal eine Ausstellung der Arbeit Walt Disneys
von Andreas Robertz
Es braucht genau 24 handgezeichnete Einzelbilder um eine Sekunde eines Zeichentrickfilms zu erzeugen. Da kann man sich vorstellen, dass ein Spielfilm wie Walt Disneys „Die Schöne und das Biest“ aus Millionen von Einzelzeichnungen besteht, Hunderte von Zeichnerinnen und Zeichnern arbeiteten an einem solchen Projekt. Walt Disney hatte lange vor die Geschichte zu verfilmen, aber erst 1991, 25 Jahre nach seinem Tod, wurde das Projekt realisiert. Der Film wurde zum Erfolg und man sprach von einer Disney Renaissance. Bisher waren die Arbeiten der Disney Studios nur im Kontext seiner Themenparks und der eigenen Archive zu sehen. Das Metropolitan Museum in New York hat den 30sten Geburtstag des Filmes nun zum Anlass genommen, Walt eine eigene Ausstellung zu widmen und zwar über seine Faszination mit Europa.
Das passt natürlich gut: Es ist Weihnachtszeit und das Metropolitan Museum eröffnet eine Ausstellung zu Walt Disney. Mit über 150 Zeichnungen, Filmausschnitten und Produktionsobjekten der Disney Studios und 60 Einzelstücken aus der Sammlung dekorativer Kunst des 18ten Jahrhunderts aus dem Met zieht die Ausstellung Parallelen zwischen diesen so unterschiedlichen Kunstformen.
Für Kurator Wolf Burchard, für den hier sein Spezialgebiet und sein privates Steckenpferd zusammenkommen, ist bei der Ausstellung für jeden etwas dabei:
Wolf Burchard: Meine Hoffnung für diese Ausstellung ist, dass sowohl Familien mit Kindern Spaß an dieser Ausstellung haben, die also überhaupt keine Texte lesen werden, sondern einfach nur die verschiedenen Objekte sich anschauen und zwar sowohl das Disney Material als auch das des 18ten Jahrhunderts, das ja wirklich die Fantasie anspricht, aber auch, dass der etwas interessiertere Museumsbesucher sich das genau anschaut und sich die Texte durchliest und eben darüber nachdenkt, was der historische Kontext ist.
Unbelebtes in der Fantasie bewegen
Und es gibt viele Parallelen zwischen den dekorativen Künsten des 18ten Jahrhunderts insbesondere des Rokoko und Walt Disney und seinen Filmen. Zum Beispiel deren gemeinsame Freude daran, unbelebte Objekte in der Fantasie zu bewegen oder Tiere zu humanisieren, oder auch die Lust an Miniaturwelten und verzauberten Gegenständen.
So könnte der filigrane Porzellankerzenleuchter aus der Meissner Manufaktur des frühen 18ten Jahrhunderts mit seiner tanzenden Frauengestalt eine direkte Inspiration für die Figur des Lumiére in “The Beauty and the Beast“ gewesen sein. Tapeten, Puppenstuben, Geschirre, Porzellanfiguren, Uhren und Vasen, viele dieser exquisiten Gegenstände wirken wie direkte Vorlagen für einen Disney Film. Aber es ist auch die Art und Weise wie diese Arbeiten entstanden sind, die Wolf Burchard interessiert:
Das Gesamtkunstwerk
Wolf Burchard: Was mich eben immer so fasziniert hat, ist das Zusammenarbeiten so vieler Charaktere, verschiedener Persönlichkeiten, zum Teil hunderte von Persönlichkeiten, die zusammen an einem Produkt arbeiten, das letztendlich dann aussieht, als wäre es von einer einzigen Person entworfen und ausgedacht worden. Also eigentlich ein Gesamtkunstwerk. Und das gleiche kann man eben auch über die dekorativen Künste des 18. Jahrhunderts sagen.
Einige dieser Zeichnerinnen und Zeichner der frühen Stunde, die maßgeblich für Filme wie „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, „Cinderella“ und „Dornröschen“ verantwortlich waren, werden hier vorgestellt.
Wenn es in der Ausstellung nur darum ginge, den vielen schönen Gegenständen aus dem Rokoko durch die Brille der Disneyfilme neue Aufmerksamkeit zu schenken, wäre sie sicher eine rundum gelungene Sache. Doch sie ist sich eben auch eine Hommage an Walt Disney, über den eine eigene Ausstellung zu machen es für Kurator Wolf Burchard längst überfällig war.
Walt Disney am Metropolitan Museum
Wolf Burchard: Ich finde es eben sehr wichtig, dass man in diesem Kontext des Metropolitan Museums eine etwas ernstere Ausstellung, die natürlich auch Spaß machen soll, aber eine ernstere Ausstellung, die zeigt, dass er wirklich ein Künstler ist, der einen unglaublichen Einfluss hatte auf die Künste überall auf der Welt. Kaum einer kann sich dem kulturellen Einfluss von Disney entziehen.
Eine Welt, die man erfahren, aber nicht hinterfragen kann
Doch für eine wirklich ernsthafte Einordnung der Arbeit Disneys und seines Einflusses fehlt der Ausstellung die kritische Distanz. Denn Walt Disney war nicht einfach nur „inspiriert“ von europäischer Kunstgeschichte, seinen Märchen und Schlössern, sondern er nutzte das Material gezielt, um eine idealisierte amerikanische Lesart dieser Motive zu erzeugen: die heile „alte“ Welt eines verträumten Europas, dass in amerikanischen Gesellschaftsidealen ihre Vollendung erfahren sollte. Unzählige akademische Arbeiten weisen auf die Disneyfication fremder Kulturen als Motiv amerikanischer Propaganda hin. Heute nennt man das kulturelle Aneignung.
Leider fehlt der Ausstellung der Blick auf diesen Zusammenhang. Es entsteht auch der Eindruck, als sei die aktuell so wichtige kritische Neueinordnung althergebrachter Kunstdiskurse an dieser Ausstellung völlig vorbeigegangen. Ganz im Gegenteil, durch geschickte Lichtregie, der wohlbekannten Filmmusik und den farblich sehr schön gestalteten Ausstellungsräumen betritt der Besucher die Ausstellung wie einen inszenierten Disneyfilm – eine idealisierte Welt, die man erfahren, aber nicht hinterfragen kann. Das mag zwar gut zu Weihnachten passen, aber damit bleibt die Schau seinem Publikum eine wichtige Perspektive schuldig.
Inspiring Walt Disney wird noch bis zum 6. März in New York zu sehen sein, bevor sie dann nach London weiterwandert.