Das Metropolitan Museum of Art in New York eröffnet eine Ausstellung über Surrealismus als internationale Kunstbewegung und blickt dabei weit über den westlichen Tellerrand hinweg.
von Andreas Robertz
Kulturelle Vielfalt, Chancengleichheit und der Kampf gegen Rassismus – diese Begriffe stehen wie keine anderen für einen neuen Aufbruch in den langsam wieder öffnenden Kulturinstitutionen New Yorks. Das bedeutet neue, nicht-weiße Autor*innen an den Theatern, ein gerechterer Anteil von Minderheiten bei Kulturproduktion und eine geschärfte Wachheit gegenüber Rassismus, Appropriation und Kolonisation bei den Museen. Das klingt vielleicht gewollt und verordnet, aber das Metropolitan Museum zeigt in einer massiven Ausstellung über den Surrealismus wie es geht.
Der surrealistische Kleiderschrank des Franzosen Marcel Jean aus dem Jahr 1941 steht programmatisch im Eingang der Ausstellung. Seine Türen sind mit halboffenen Türen bemalt, hinter denen der offene Himmel wartet. Es ist die Faszination mit dieser Welt jenseits des Alltäglichen, des Rationalen und des Bewussten, die in den frühen 1920er Jahren in Paris ihren Anfang nahm und Generationen von Künstlern auf der ganzen Welt inspirierte. André Breton, René Magritte, Max Ernst, Salvadore Dali – diese Namen sind eng mit der in Europa und den USA vorherrschenden Vorstellung von Surrealismus verbunden, erklärt Kuratorin Stephanie D’Alessandro. Doch Künstler*innen wie die kolumbianische Fotografin Cecilia Porras oder der mosambikanische Maler Malangatana Ngwenya sind dagegen hier fast völlig unbekannt.
Der Unbekannte Surrealismus
Stephanie D’Alessandro: Ich bin jetzt seit 20 Jahren Kuratorin und ich habe mich immer gefragt, warum wir bestimmte Momente in der Kariere eines Künstlers mehr schätzen als andere? Warum wir, wenn wir über bestimmte Strömungen oder Künstler reden, immer dieselben Arbeiten ansehen und dieselben Geschichten erzählen? Schon vor Covid haben wir darüber nachgedacht, was eigentlich im Rest der Welt passiert und unsere Euro-Amerikanische Perspektive hinterfragt. Und beim Surrealismus bot es sich an, dies in einer länder- und geschichtsübergreifenden Weise zu tun.
In 14 Ausstellungsräumen zeigt die Ausstellung „Surrealism beyond Borders“ eine so ungeheure Fülle von Arbeiten, als wäre eine surrealistische Bombe inmitten des Met explodiert: Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Filme, Hörspiele, Magazine, Fotografien, Reisetagebücher und natürlich Manifeste, aus Paris, Mexiko-City, Kairo, Martinique und Chicago.
Surrealismus als internationale Kunstbewegung
Stephanie D’Alessandro: Dies ist keine Ausstellung, die mit dem Ursprung des Surrealismus beginnt und mit einem Punkt wie am Ende eines Satzes endet. Wir haben an Orte gedacht, die für viele andere stehen. Wir haben an Personen gedacht, ob sie Reisende waren oder Menschen, die im Surrealismus etwas gefunden haben, das ihnen erlaubte, jenseits ihrer Umstände zu denken. Und wir haben Themen gesetzt, die es uns ermöglicht haben, noch mehr Künstler zu zeigen.
Themen wie Träume, Poetische Objekte, Körper und Lust, das Unheimliche, Exile und Reisen oder Gewalt und Revolution. Sie geben den Ausstellungsmachern die Möglichkeit, Arbeiten direkt in Dialog zueinander zu setzen.
Zum Beispiel im Themenraum „Gewalt und Revolution“ hängt ein Bild von Miro neben einem von Malangatana Ngwenya aus Mozambique:
Stephanie D’Alessandro: Miro, 1968 bereits ein alter Meister des Surrealismus, malt eine Arbeit, die eine Reflektion der Studentenunruhen an der Sorbonne ist. Er benutzt diesen Graffiti Stil mit Sprühfarbe und fügt seine eigenen Handflächen hinzu, als wolle Teil davon sein. Und dann Malangatana Ngwenya, der hier einen Weg findet, von seiner Gefangenschaft aus seiner Zeit bei der Befreiungsbewegung zu erzählen, von dem Hunger und Elan der Menschen die für ihre Freiheit von Portugal kämpfen.
Gewalt und Revolution
Beide Bilder sind fast zur gleichen Zeit entstanden. Malangatana Ngwenya benutzt satte leuchtende Farben, sein Bild ist ein Labyrinth aus Kindergestalten und Bestien mit Reißzähnen. Die zentrale Figur ist ein Junge mit ausgelaufenen schwarzen Augen, seine Arme stecken in weit aufgerissenen Mäulern. Die fehlenden Hände in diesem Bild stehen Miros Handflächen gegenüber – eine interessante Verbindung.
Warum der Surrealismus für so viele Künstler so attraktiv war, erklärt Kuratorin Stephanie D’Alessandro:
Stephanie D’Alessandro: Der Surrealismus bot vielen Menschen Möglichkeiten, sich verschiedene Dinge vorzustellen, sei es eine andere sexuelle Orientierung oder Identifikation oder ein politischer Ort oder eine Affirmation.
Surrealismus lebt
Es finden sich viele Beispiele von Künstlern, die im Surrealismus die Möglichkeit fanden, ihre schwarze Identität zu bejahen oder gegen Unterdrückung oder kolonialen Institutionalismus zu kämpfen. Und ich denke, all diese Dinge sind mit Surrealismus auch für uns heute möglich.
Die Ausstellung ist in ihrer Fülle und Vielfalt überfordernd und irritierend – im besten Sinne. Hier wurde kulturelle Vielfalt zum Programm. Und am Ende entsteht ein umso reicheres Verständnis davon, warum verschiedensten Künstlern auf der Welt der Surrealismus so wichtig wurde.
„Surrealism Beyond Borders“ ist bis zum 30. Januar 2022 noch in New York zu sehen.